Bittere Sünde (German Edition)
senkte. Eins seiner Beinchen stand in einem absurden Winkel ab, aber immerhin lebte der Hund noch. Aber würde er auch überleben? Mit so viel Ruhe, wie sie unter den gegebenen Umständen aufbringen konnte, flüsterte sie ihm beruhigende Worte zu, während sie über sein feuchtes Fell streichelte. Da erst kam sie auf die Idee, sich nach dem Herrchen oder Frauchen des Hundes umzusehen, doch der Wald um sie herum wirkte völlig verlassen. Behutsam schob sie beide Hände unter den kleinen Hundekörper, ohne sich daran zu stören, dass sie sich die Knöchel am Asphalt aufschürfte. Doch als sie das Tier hochheben wollte, spannte sich die Leine, sie schien an etwas unter dem Wagen festzuhängen. Sie lagerte den Hund um und zog daran, doch die Leine löste sich nicht. Vorsichtig platzierte sie den Hund wieder auf dem Boden. Da sie sowieso schon völlig durchnässt war, machte es ihr auch nichts mehr aus, sich vor dem Wagen auf den Bauch zu legen, um besser erkennen zu können, was mit der Leine los war. Ihre Augen weiteten sich. Für ein paar Sekunden starrte sie verständnislos auf das Bild, das sich ihr bot. Dann kroch plötzlich die Angst in ihr hoch, und sie schob sich abrupt zurück auf alle viere. Die Leine war um einen großen Stein gewickelt worden.
Der Schatten tauchte so schnell hinter ihr auf, dass sie ihn nicht einmal wirklich wahrnahm. Ein Schlag traf sie mit extremer Wucht, sie hatte das Gefühl, ihr Kopf würde in tausend Einzelteile zerspringen. Dass ihre Nase brach, als sie kurz darauf auf die Straße knallte, bekam sie schon gar nicht mehr mit. Alles war schwarz. Ganz schwach hörte sie das Heulen von Polizeisirenen.
Zu spät
, dachte sie noch betrübt.
48
Magnus hatte den Kopf auf den Bauch seiner Frau gelegt und weinte leise. Seine Augen waren geschwollen, und hinter seinen Schläfen hämmerte es. Alles drehte sich. Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg. Sie sollte nicht aufwachen und ihn so sehen müssen. Wenn er je Stärke beweisen musste, dann jetzt.
Eine schwere Gehirnerschütterung und eine Nasenbeinfraktur. Sie sah klein und verletzlich aus, wie sie da mit einer Bandage um den Kopf und einem Pflasterverband über der Nase im Krankenhausbett lag.
Noch hatte er den Kindern nichts gesagt. Er wusste ehrlich gesagt nicht, wie er anfangen sollte. Wie erklärt man seinen beiden dreijährigen Kindern, dass jemand versucht hatte, ihre Mutter zu ermorden? Es war dem Täter nicht gelungen, aber nur, weil sie gerade noch rechtzeitig gekommen waren. Welche Schäden Linn zurückbehalten würde, konnte noch niemand sagen. Sie hatten sie auf dem Bauch liegend im Straßengraben gefunden. Magnus fuhr zusammen und drückte ihre Hand. Was wäre wohl passiert, wenn man nicht im ganzen Stadtteil Gärdet plötzlich Polizeisirenen gehört hätte?
Ein leichter Geschmack nach Eisen lag in seinem Mund. Er hatte Angst. Jetzt war er sich vollkommen sicher, dass sie es mit Eriks Mörder zu tun hatten. Dieses Monster hatte zunächst kaltblütig Lidhman massakriert, dann Magnus’ Handy mitgehen lassen und in einer Art plötzlichem Geistesblitz Linn ins Gärdet gelockt. Das war so verschlagen und heimtückisch, dass es Magnus ganz schlecht wurde.
Josef Lidhman war ein Verdächtiger im Mordfall Erik Berggren gewesen, und nun war er selbst tot. Der einzige noch lebende Mensch, der Magnus einfiel, der ein Motiv für all die Taten hatte, befand sich in Argentinien: Domenique Estrabou. Sie hatte einen ziemlich guten Grund dafür, Lidhman den Tod zu wünschen, doch warum sollte sie sich an Erik und Gunvor vergehen? Und wieso sollte sie fast fünfundfünfzig Jahre verstreichen lassen, bevor sie sich rächte? Ein Auftragskiller wiederum würde sich wohl kaum mit seiner Familie aufhalten. Irgendetwas passte hier nicht zusammen.
Magnus drückte Linns Hand.
Freitag, 24. Oktober
49
Die ganze Nacht über war Josef Lidhmans Wohnung von Scheinwerfern hell erleuchtet gewesen. Zwischen all den Antiquitäten hatten vier Kriminaltechniker nach Beweisen gesucht. Wie stumme Geister hatten sie sich in dem blendenden Licht bewegt, nur vereinzelt war mal ein ›Schau dir das an‹ oder ›Überprüf das noch mal‹ zu vernehmen gewesen. Sie waren erst fertig, als die Sonne bereits wieder aufging. Magnus, Roger und Sofie trafen das Team der Spurensicherung beim Einpacken der Ausrüstung an.
Ein fülliger Kriminaltechniker um die fünfzig, der Magnus als Ulf Kerne bekannt war, kam ihnen im Flur entgegen. Er streifte sich gerade
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