Bittere Sünde (German Edition)
kam Jonas Orling mit Kaffee und einem Stück Sandkuchen herein.
»Ich dachte, Sie können vielleicht eine Stärkung brauchen«, sagte er schüchtern, und schon erstreckte sich ein fröhliches Lächeln über sein breites Gesicht.
Mit seinen roten Apfelbäckchen sah er ein wenig aus wie ein unschuldiger Milchbubi, und Linn bezweifelte, dass er sich überhaupt schon einmal hatte rasieren müssen. Wenn sie so darüber nachdachte, konnte sie sich Jonas eigentlich in jedem erdenklichen Beruf vorstellen. Von der Tankstellenaushilfe über den Versicherungsmakler bis hin zum Briefträger. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit liebte er es, an der frischen Luft zu sein, zu wandern oder zu angeln.
Sie führte die Tasse an die Lippen und nippte vorsichtig an dem heißen Kaffee. Sie wollte zwar nichts lieber, als in den Akten lesen, konnte aber der wohlmeinenden Geste des Polizeianwärters nicht widerstehen. Er selbst setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke und trank große Schlucke aus seiner Tasse, ganz offensichtlich völlig unbeeindruckt davon, wie heiß der Kaffee noch war. Der Dampf umnebelte in kleinen Schwaden sein rosiges Gesicht, und man konnte sich lebhaft vorstellen, wie es aussah, wenn Jonas an einem kalten Wintertag auf einem zugefrorenen See eine Kaffeepause machte.
Linn fühlte sich mit ihren tiefblauen Veilchen und der groß verpflasterten Nase Welten entfernt von seiner jugendlichen Frische und Vitalität. Wenigstens konnte sie sich über das freuen, was die Ärztin ihr versichert hatte, nämlich dass ihre Nase nun gerader sein würde als vorher, weil sie im OP gleich gerichtet worden war. Neugierig betrachtete sie Jonas.
»Wieso hast du dich eigentlich entschieden, Polizist zu werden?«
Jonas senkte die Tasse und schaute Linn an. »Na ja, mein Vater und mein Bruder sind auch bei der Polizei, da war es also ziemlich naheliegend.«
Linn lächelte ermutigend. »Und, war es eine gute Entscheidung?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ach, auf jeden Fall in Ordnung. Ist ein Job wie jeder andere. Wobei das Wacheschieben vielleicht nicht gerade das Aufregendste ist …« Er unterbrach sich selbst und schaute Linn verlegen an.
»Keine Sorge, das kann ich sehr gut nachvollziehen.«
Jonas sah erleichtert aus. Er blieb einen Moment still, dann fuhr er fort: »Ich bin gern draußen. Irgendwie würde ich am liebsten in der Natur arbeiten, aber ich wüsste nicht, als was. Vielleicht als Angellehrer oder Teamer bei Abenteuertouren oder so was in der Art.« Er wirkte mehr, als würde er mit sich selbst sprechen, aber Linn nickte.
»Das hört sich doch gut an. Da solltest du dich mal schlau machen.«
Jonas biss in seine Zimtschnecke, kaute schmatzend und sagte mit vollem Mund: »Ja, das sollte ich vielleicht wirklich.«
Linn ließ den Blick wieder auf die Mappe vor sich sinken. Mit der Einschätzung, dass sich Jonas gern an der frischen Luft aufhielt, hatte sie also richtig gelegen. Würde sie zu einer ähnlich treffenden Einschätzung des Mörders gelangen? Zorn und Furcht erfassten sie zu gleichen Teilen, während sie mit der Hand über die Akten fuhr. Das hier war jemand, der sich nicht um Menschenleben scherte, jemand, der schonungslos jeden auslöschte, der ihm und seinem Ziel in den Weg kam. Nur: Was genau war sein Ziel? Ging es einzig darum, Domeniques Vergewaltigung zu rächen? War die Erklärung wirklich so einfach? Dass etwas gerächt werden sollte? Aber wieso richtete sich der Täter nun auch gegen Magnus, wieso gegen sie?
Linn kniff die Augen zusammen, die Falte zwischen den Brauen vertiefte sich.
Du wolltest mich töten, um Magnus damit zu treffen,
dachte sie.
Du weißt, dass er zerbrechen würde, wenn es mich nicht mehr gibt. Und genau das willst du erreichen. Weil er etwas für dich darstellt, nicht wahr? Etwas, das du verabscheust.
53
Verwunderung breitete sich auf Linns Gesicht aus, als eine Stunde später Jonas Orling mit einem großen Strauß roter Rosen vor ihr stand.
»Die sind für Sie.« Jonas erkannte, wie erstaunt sie war, und fügte deshalb schnell hinzu: »Also, nicht von mir. Die Schwester hat sie mir gegeben.«
»Sind die von Magnus?« Linn sah zweifelnd aus. Magnus schenkte ihr selten Blumen, wobei selbst das stark übertrieben war. Tatsächlich hatte er ihr nur ein einziges Mal Blumen geschenkt, und zwar, als er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte.
Jonas nickte ihr auffordernd zu. »Schauen Sie doch mal auf die Karte.«
»Es gibt keine.«
»Dann sind sie sicher von Ihrem
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