Bittere Sünde (German Edition)
sogar noch an das leise Klopfen erinnern, das ihn zur Tür lockte. Kaum stand der Polizist im Flur, wusste Magnus schon, was passiert war. Die Stimme seiner Mutter klang ihm noch in den Ohren: »Fahr vorsichtig, Schatz, die Straßen sind glatt!« Dann war die Tür hinter seinem Vater zugeschlagen. Als der Polizist zu reden begann, sackte Magnus auf dem Flurteppich zusammen. Seine Mutter hatte ihm später erzählt, dass er dabei einen entsetzlichen Schrei ausgestoßen hatte, das war ihm jedoch nicht bewusst gewesen.
Magnus schüttelte sich, darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Stattdessen ließ er den Blick durch die Kirche schweifen. Der Sarg wirkte groß unter dem grünen Tuch. Magnus fragte sich, was der Pastor wohl über diesen alkoholkranken Mann sagen würde. Es gab ja keine Angehörigen, die schöne Anekdoten aus Eriks Leben erzählen konnten, und Magnus traf der Gedanke, dass auch er nicht viel über ihn wusste. Eines war jedenfalls sicher, er war ein Opfer, und das gleich auf mehreren Ebenen. Aufgrund seiner Behinderung hatte er nie wirklich dazugehört, weil sein Umfeld ihn als sonderbar und unheimlich empfunden hatte. Und dann hatte sein tragisches Leben auch noch auf die schlimmste denkbare Weise ein Ende gefunden.
Magnus versuchte sich vorzustellen, wie das wohl war, als Außenseiter zu leben und zu sterben. Welche Gefühle löste so etwas aus? Wut, Kummer oder blanken Hass? Alles zusammen vermutlich. Und nun würde Erik begraben werden, und niemand würde ihn vermissen. Nicht einmal seine eigene Mutter konnte ihn betrauern, aber vielleicht war das auch nicht so schlimm. Trauer war kein Wert an sich.
Der Pastor ging zum Altar. Er hatte helles, kurzes Haar, das so modisch nach hinten gegelt war, als würde er in seiner Freizeit in den Szene-Kneipen am Stureplan abhängen. Magnus fiel auf, dass er seinen Ring an einer Kette um den Hals trug. Was war wohl der Grund, hatte er zugenommen? Oder spielte er mit dem Gedanken, sich scheiden zu lassen? Er senkte den Blick auf seine eigenen Hände. Es ging ihn zwar nichts an, aber sollten Priester nicht noch härter um die Ehe kämpfen als andere? Sie hatten schließlich die ewige Liebe versprochen, und das vor einem Gott, an den sie wirklich glaubten.
Er biss sich auf die Lippe. Im gleichen Moment setzte mit Getöse das Orgelspiel ein. Die schleppenden Töne machten ihn ganz niedergeschlagen.
Als er später vorn beim Pastor stand, um sich zu bedanken, fiel sein Blick auf das kleine Kuvert, das an der roten Rose hing. Magnus entschuldigte sich schnell und trat an den Sarg. Er zog die kleine Karte heraus, deren Nachricht ihn verdutzte.
Vergeben
stand darauf.
Magnus schnellte zum Pastor herum, der erschrocken zusammenzuckte.
»Woher kommt denn diese Blume?«
»Die hat wahrscheinlich die Blumenbotin heute Morgen vorbeigebracht. Warum?«
»Welche Blumenbotin?«
»Die war von einem Blumenladen, der im Zentrum von Åkersberga liegt. Ich komme gerade nicht auf den Namen. Oder, warten Sie …
Berga Blommor
heißt das Geschäft, glaube ich.«
»Danke.« Magnus Stimme verhallte im hintersten Winkel der Kirche. Noch bevor er an seinem Wagen angelangt war, hatte er Roger telefonisch erreicht und darauf angesetzt, herauszufinden, wer die Rose geschickt hatte.
Was hatte die Karte zu bedeuten? Wer hatte Erik Berggren vergeben und was genau?
Er fuhr los. Sein Wagen glitt durch die grauen, feuchten Wälder. Sie sahen düster aus, weil die Farbpracht der Blätter nachgelassen hatte. Alles lastete auf einmal schwer auf ihm: der Brand, Elins Krankenhausaufenthalt, der Überfall auf Linn. Magnus fuhr rechts ran und vergrub das Gesicht in beiden Händen. Obwohl er weinen wollte, war er einfach zu erschöpft, es kam keine einzige Träne. Er versuchte sich zusammenzureißen. Jetzt war nicht der richtige Moment, zusammenzubrechen. Die Kinder brauchten ihn. Linn brauchte ihn.
Vielleicht brachte die Karte sie ja ein Stückchen weiter, obwohl er sich keine großen Hoffnungen machte. Er blinzelte ein paar Mal und schaute aus dem Fenster. Jetzt hätte er gern jemanden gehabt, den er hätte anrufen können. Jemanden, der verstand, was er durchmachte, aber es gab niemanden. Linn hatte es gerade schon schwer genug, er musste sie ja nicht auch noch mit seinen Sorgen belasten.
Ein Fischadler kam angeflogen und landete auf einem Leitungsmast ein Stück vor Magnus. Einen Augenblick lang blieb er reglos sitzen, als würde auch er über etwas nachdenken. Dann breitete er seine Flügel
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