Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bittere Sünde (German Edition)

Bittere Sünde (German Edition)

Titel: Bittere Sünde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Roll
Vom Netzwerk:
dreißigtausend unschuldige Menschen während der Militärdiktatur verschwunden waren. Das war dummes Gerede. Reine Lügenmärchen.
    Sie senkte den Blick auf ihre Schuhe, die von rotbraunem Staub bedeckt waren. Schweiß lief ihr unter dem schwarzen Kleid die Wirbelsäule hinunter, während ihre Gedanken eine Reise in die Vergangenheit unternahmen. Sie dachte über all das nach, was andere ihr erzählt hatten, haltlose Mutmaßungen darüber, dass die Junta Menschen unter Drogen gesetzt und dann über dem Meer aus dem Flugzeug geworfen hatte. Oder Fluchtversuche von Inhaftierten inszenierten, um deren Erschießungen rechtfertigen zu können. Nein, davon glaubte sie kein Wort. Kein einziges.
    Ihr Nachbar hatte sogar behauptet, das Militär habe schwangere Frauen entführt und dann ihre Kinder verkauft. Der Gedanke war dermaßen abstoßend. Wie konnten die denn glauben, dass ihr Pedro bei etwas so Abscheulichem mitgemacht hätte? So etwas Grausames würde er niemals machen. Er war doch selbst Vater.
    Der arme Pedro. Hurensohn hatten sie ihn von Anfang an genannt, Freunde hatte er kaum gehabt. Das war nicht leicht zu ertragen gewesen, auch nicht für sie als seine Mutter. Sie hatte ja selbst widersprüchliche Gefühle gegenüber ihrem Sohn gehabt, doch letztlich hatte das Mitgefühl überwogen. Dabei hatte geholfen, dass er ihr so ähnlich war. Die gleiche gerade Nase, die gleichen mandelförmigen Augen. Abgesehen von den blauen Augen hatte er nichts vom Aussehen seines Vaters geerbt, und dafür war sie unendlich dankbar. Es wäre ihr viel schwerer gefallen, Pedro anzunehmen, wenn er sie an ihn erinnert hätte.
    Domenique wurde schneller. Die Erinnerungen regten sie so sehr auf, dass sie ganz rote Wangen bekam.
    Der Omnibus stand schon an der Haltestelle bereit, mit Mühe zog sie sich am Geländer die hohen Stufen hinauf.
    Der Bus war fast leer. Ganz vorn saß ein Mann, der sich angeregt mit dem Fahrer über Politik unterhielt. Domenique schob sich mit ihren Plastiktüten durch den Gang bis nach ganz hinten. Sie nahm eine der Tüten auf den Schoß und schaute hinein. Darin lag in dünnes Papier gewickelt eine Tonfigur, die sie beim Keramiker abgeholt hatte. Sie wickelte sie aus und betrachtete glücklich das teufelsähnliche Gesicht.
    Jetzt fehlte ihr nur noch Pachamama, die Erdgöttin, dann war ihre Sammlung komplett.
    Was würde Pedro sich freuen, wenn sie ihm die Figuren eines Tages schenken konnte. Wenn er erst wieder zu Hause war, würde endlich alles so sein, wie es sollte. Er konnte doch nicht glücklich sein, so weit entfernt von seiner Familie? Er behauptete zwar, dass er es war, aber sie wusste es besser. Sie kannte ihren Sohn. Dort drüben gab es keine Wärme, weder in der Luft noch in den Herzen der Menschen. Er war wie ein fremder Vogel, wie ein Halm im Wind. Einsam und wurzellos. Das gleiche Gefühl, das sie schon ihr Leben lang begleitete.
    Sie faltete die Hände und betete, dass er bald Ruhe finden würde und endlich heimkehren konnte.
    Der Bus wurde gestartet und begann, sich den roten Berg hinaufzukämpfen. Bald würde sie wieder zu Hause sein.
    Draußen wehte ein warmer Wind, ganz wie an dem Tag, an dem Pedro verschwunden war.

61
    Osvaldo Ortiz starrte schockiert auf die alten Dokumente, die vor ihm lagen. Mit einem Kloß im Hals las er wieder und wieder Paulo Mendez’ Anzeige. Domenique Estrabous Sohn Pedro war an illegalen Adoptionen beteiligt gewesen.
    Seine Augen brannten, Ortiz presste seine verschwitzten Handflächen auf die Lider. Zum Glück war er das alte Aktenarchiv durchgegangen.
    »Was für ein Schwein«, murmelte er.
    Aus Domeniques Sohn war ein verdammtes Scheusal geworden.
    Ortiz war richtig schlecht.
    Kurz darauf hatte er Paulo Mendez am Apparat. Im Hintergrund dröhnte laut der Fernseher, es lief gut erkennbar eine Ratesendung, die er selbst oft anschaute, und sei es nur, um die leicht bekleideten Frauen mit ihrem Federschmuck im Hintergrund tanzen zu sehen.
    »Es geht um Ihre Tochter Laura«, sagte Ortiz, nachdem er sich vorgestellt hatte.
    Erst wurde es still im Hörer, dann meldete sich Paulo wieder. Er klang erschüttert und lallte ein wenig, so als wäre er betrunken. »Haben Sie Pedro Estrabou gefunden?«, fragte er.
    »Nein, bedauerlicherweise nicht. Ich kann leider nicht ins Detail gehen, aber der Name seiner Mutter ist im Zuge eines schwedischen Mordfalls aufgetaucht, und nun überprüfen wir auch Pedro Estrabou«, antwortete Ortiz.
    »Da kann ich Ihnen sicher nicht helfen«,

Weitere Kostenlose Bücher