Bittere Sünde (German Edition)
sagte der Mann kurz, als wollte er sich wieder ganz dem Fernsehen widmen.
»Ich habe Ihre Anzeige gelesen und daraus entnommen, dass Pedro am Verschwinden Ihrer Tochter zur Zeit der Militärdiktatur beteiligt war«, erklärte Ortiz.
Der Mann hickste. Dann antwortete er in bedrücktem Tonfall: »Das Ganze ist jetzt dreißig Jahre her, und trotzdem kann ich nicht aufhören, daran zu denken. Jeden Tag gehe ich alles noch einmal durch, in der Hoffnung, dass mir etwas einfällt, womit ich alles rückgängig machen kann. Aber das geht natürlich nicht. Es ist, wie es ist.«
»Können Sie mir mehr über das erzählen, was passiert ist?«
»Aber das steht doch alles in der Anzeige. Sie war neunzehn, schwanger, und sie haben sie entführt und in einen ihrer Keller bei der ESMA gesperrt. Ich bin einmal da gewesen, danach. Ich weiß, wie es aussieht in diesen verdammten Zellen da. Nackte Glühbirnen an der Decke, ein Flur …«
Paulo Mendez keuchte, und Ortiz spürte, dass er den Tränen nahe war.
»Und sie haben ihr das Kind genommen?«
»Ja, Pedro Estrabou hat es genommen. Er hat es ihr aus dem Leib geschnitten und sie dann blutend sich selbst überlassen … So … So als wäre sie gar nichts wert. Ich weiß nicht, was mit ihrem Sohn passiert ist, ob er überhaupt noch lebt. Ich habe ihn nie gefunden.« Er räusperte sich. »Sie war erst neunzehn. Neunzehn!«
»Es tut mir sehr leid. Ist sie dort in einer der Zellen gestorben?«
»Nein, sie war eine der wenigen, die überlebt haben und rausgekommen sind, aber sie ist damit nicht klargekommen …«
Er machte eine Pause, und Ortiz empfand das fröhliche Gedudel aus dem Fernseher nun als völlig absurd.
»Sie hat sich im Krankenhaus erhängt«, sagte Paulo endlich. »Wollten Sie sonst noch was wissen?«
»Nein, danke. Und ich möchte Ihnen noch mal ausdrücklich mein Beileid aussprechen.«
»Richten Sie Ihren Kollegen lieber aus, dass sie Pedro Estrabou finden und ihm die Strafe geben sollen, die er verdient«, sagte Paulo Mendez niedergeschlagen. »Ich sitze hier jeden Tag auf meinem Ledersofa und warte darauf, dass das Telefon klingelt und mir jemand sagt, dass Pedro Estrabou gefasst wurde. Und das schon seit vielen Jahren.«
Ortiz legte auf. Ihm war nicht wohl, als er sich seinem Computer zuwandte.
Ein paar Stunden später hatte er alle relevanten Informationen von den örtlichen Ämtern inklusive Finanzamt zusammengetragen.
Pedro Estrabou hatte 1983, kurz nach dem Sturz der Junta, geheiratet und drei Kinder bekommen. Dann erwarb er einen Weinberg in der Nähe der Universitätsstadt Córdoba und stellte ein paar Leute ein, die sich um die schwereren Arbeiten kümmern sollten.
Vielleicht hatte er das Grundstück mit dem Geld bezahlt, das er bei der
ESMA
verdient hatte? Durch Kinderhandel?
, dachte Ortiz. Woher auch immer das Geld stammte, Pedro hatte mit seiner Familie dort gelebt, bis der neue Präsident Nestor Kirchner 2003 die Straffreiheit für ehemalige Mitarbeiter der Junta aufhob. Dann hatte Pedro seine Familie verlassen und war untergetaucht. Frühere Nachforschungen hatten darauf hingedeutet, dass er sich nach Deutschland abgesetzt hatte, doch dort verlief sich seine Spur. Ortiz schätzte, dass Pedro ohne große Probleme weiter nach Schweden hatte reisen können.
Ortiz nahm den Hörer ab und wählte die Nummer seines schwedischen Kollegen. Er hatte keine Ahnung, wie spät es gerade in Stockholm war, aber er ging davon aus, dass Magnus Kalo diese neuen Informationen so schnell wie möglich haben wollte.
62
Magnus schlief, als Ortiz sich meldete. Er schreckte mit einem Ruck aus seinen unruhigen Träumen hoch. Bereits wenige Sekunden später saß er hellwach in einem leeren Wartezimmer des Krankenhauses.
»Was sagen Sie da? Domenique hat einen Sohn bekommen? Infolge der Vergewaltigung?«, fragte er in seinem rostigen Englisch.
»Ja, einen gewissen Pedro Estrabou. Er müsste etwas über fünfzig sein. Ich hätte mich damit früher an Sie wenden sollen, aber ich wollte erst einmal prüfen, ob diese Information überhaupt relevant ist.«
»Und jetzt meinen Sie, er könnte für unseren Fall von Interesse sein?«
»Vielleicht. Es scheint so, als hätte er Argentinien vor Jahren verlassen. Wahrscheinlich haben Sie von den ganzen Prozessen gehört, die hier gerade gegen ehemalige Kriegsverbrecher laufen? Pedro Estrabou hat für die Militärjunta gearbeitet und wird zwangsläufig vor Gericht landen, wenn wir ihn je schnappen.«
»Er ist also
Weitere Kostenlose Bücher