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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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zweiten Lift weiter bis zur Dachterrasse.
    Der Abend war so, wie jeder Fotograf sich Florenz wünschen würde. Das Abendrot ließ den wolkenlosen Himmel leuchten und legte sich weich und rosafarben auf die Fläche des Arno, ein leiser Wind kräuselte das Wasser des Flusses sechs Etagen unter ihnen, darüber die drei Bögen des Ponte Vecchio. Die eng stehenden Häuser der Stadt rückten weiter zusammen, die geneigten Dächer verschwammen, ein feiner Dunst verwischte harte Linien und Ecken, und es lag Rauch in der Luft. Links wölbte sich die zweifarbige Kuppel des Doms, flankiert vom Campanile und dem grauen Turm des Palazzo Vecchio. Leichte Nebelschwaden legten sich über die grünen Hügel im Hintergrund.
    Der Anblick dieser Stadt war viel zu friedlich für den mörderischen Anlass, dachte Frank, versuchte sich zu entspannen und betrachtete den Consultore: Stefano tat ihm Leid. Trotz allem, was er getan hatte, empfand er noch immer Sympathie für ihn, er würde lange auf diesen wundervollen Anblick verzichten müssen. Wie viele Jahre es wurden, hing vom Verlauf des Prozesses ab und von der Sichtweise der italienischen Justiz, und da war vieles möglich, von lebenslänglich bis zum Freispruch.
    Der Consultore hing mit feuchten Augen an der Szenerie. Will er sich noch ein letztes Mal mit dem Anblick seiner Stadt voll saugen?, fragte sich Frank und dirigierte ihn zu einem Tisch am Rand der Terrasse. Von hier aus überblickte er sowohl den Ausgang des Fahrstuhls als auch den Treppenaufgang und wähnte sich vor Überraschungen sicher. Die Buchsbäume in den Terrakottatöpfen waren nicht hoch genug, niemand konnte sich dahinter verstecken.
    «Wenn Strozzi kommt, winkst du ihm zu, verstanden?» Frank setzte sich so, dass man ihn vom Eingang her nicht gleich erkannte.
    Der Consultore ließ sich kraftlos in den Korbstuhl fallen, nickte und sah Frank ratlos an. «Wie hast du eigentlich den Amerikaner im Keller außer Gefecht gesetzt?»
    «Tut dir das Leid? Wäre es dir andersherum lieber gewesen?»
    Scudiere schlug die Augen nieder, deutete ein Kopfschütteln an und rieb sich die Augen. Erst jetzt schien ihm die Tragweite seines Verhaltens bewusst zu werden, seine Mundwinkel waren heruntergezogen, sein Körper sackte in sich zusammen. Der Kellner nahm ihre Bestellung entgegen, brachte kurz darauf den gewünschten Kaffee und für den Consultore einen doppelten Cognac. Die beiden Männer tranken und warteten schweigend. Außer ihnen saßen noch drei weitere Gäste auf der Terrasse. Etwas weiter rechts telefonierte ein jüngerer Mann anscheinend mit seiner Freundin, ihnen schräg gegenüber hatte ein Ehepaar Platz genommen – gänzlich unverdächtig, aber Frank behielt den jungen Mann lieber im Auge und blickte auf die Uhr: Noch fünf Minuten bis zur verabredeten Zeit. Würde Strozzi pünktlich sein? Würde er überhaupt auftauchen oder sich absetzen? Doch dafür sah er wahrscheinlich keinen Grund, wenn er die jüngste Entwicklung nicht mitbekommen oder der Commissario ihn nicht informiert hatte. Rechnete er damit, dass Frank in die Offensive ging? Wohl kaum, dazu fühlte er sich bestimmt viel zu sicher. Leute seines Schlages hielten sich für unverletzlich. Womöglich brachte er Massimo Vanzetti gleich mit, aber der hielt es bestimmt für klüger, im Schatten zu bleiben, wenn er das Gespräch im Wald richtig interpretierte. Strozzi brachte wahrscheinlich Leibwächter mit, die ihm als Abgeordnetem zustanden, damit musste er rechnen und auch, dass die durch den Ausfall der Prediger entstandene Lücke längst durch einige einheimische assassini geschlossen war.
    In einer Stunde bin ich schlauer, beruhigte sich Frank und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Innerlich vibrierte er, ein ekelhaftes Gefühl schnürte ihm den Magen und den Hals zu. Worauf hatte er sich eingelassen? Wenn Strozzi schlau war, was zweifelsfrei zutraf, und die politische Masche fuhr, konnten sie ihn als wild gewordenen Terroristen abknallen. Und wenn der Anwalt nicht auftauchte? Wo blieb Rionero, wieso ließ sich der Kommissar so viel Zeit? Panik stieg in Frank auf...
    Zwei Geschäftsleute betraten die Terrasse, ließen sich gleich neben dem Eingang nieder und begannen eine lautstarke Debatte, bei der es um irgendeinen Fußballverein ging, der pleite war. Die beiden waren harmlos, doch ein Zucken in Scudieres Gesicht weckte Franks Argwohn, er meinte, den Ausdruck des Wiedererkennens darin gesehen zu haben, als die Männer Platz genommen hatten, und er sah

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