Bittersüße Nacht - McLeod, S: Bittersüße Nacht - The Bitter Seed of Magic
hob einen Laptop darauf und fuhr ihn hoch. »Ich habe nie für Mr al Khan gearbeitet, bin ihm nie begegnet und möchte ihm auch nie begegnen. Ich verabscheue Vampire.«
Ich musterte sie erstaunt. »Warum hat Sanguine Lifestyles Sie dann angeheuert?«
»Ich vertrete Sie, Ms Taylor, weil ich eine der besten Strafrechtsanwältinnen des Landes bin«, erklärte sie selbstbewusst. »Ich verfüge über ausgezeichnete Kontakte innerhalb der Justiz sowie über einigen Einfluss im Hexenrat, was mir bei meinen Verhandlungen mit DI Crane sehr zugutekam.«
»Ja, das ist mir alles klar«, entgegnete ich, »und was anderes hätte ich auch nicht erwartet. Aber ich bin davon ausgegangen, dass Malik Ihre Rechnung bezahlt.«
»Sanguine Lifestyles ist an einen meiner Kollegen herangetreten«, gestand sie, während ihre Finger eifrig auf die Tastatur einhackten. »Mein Kollege ist ein erstklassiger Rechtsanwalt und übernimmt oft sehr lukrative Fälle für die Vampire. Als er diesen Fall erwähnte, konnte ich ihn überreden, ihn mir zu überlassen. Mein Ruf ist ebenso gut – wenn nicht besser – als seiner. Er war gerne bereit, den Fall an mich abzutreten, nachdem ich ihm die näheren Umstände erklärt hatte.«
»Was für Umstände?«, fragte ich misstrauisch. Es gefiel mir nicht, dass eine Anwältin, die Vampire normalerweise hasste, sich »meinen Fall« unter den Nagel gerissen hatte.
Sie drehte den Laptop zu mir herum. Auf dem Bildschirm war ein Foto von einer Familie zu sehen: ein gut aussehender Mann Mitte vierzig – der Vater, nahm ich an –, eine zierliche blonde Mutti – Ende zwanzig, Anfang dreißig, wenn man vom Alter ihrer Kinder ausging, obwohl sie jünger aussah. Drei Jungs im Alter von schätzungsweise zehn, neun und acht Jahren, alle mit den lockigen braunen Haaren ihres Vaters, ein blasses, elfenhaftes, etwa siebenjähriges Mädchen mit dem hellblonden Haar ihrer Mutter, ein weiteres Kind, etwa drei Jahre, mit einem wilden braunen Lockenschopf und, nach dem deutlichen Babybauch von Mutti, in Bälde noch eines. Fünfeinhalb Kinder, das waren, nach meinem Geschmack, etwa ein halbes Dutzend zu viel. Aber da ich ja nicht mal eins wollte, war ich wohl die Letzte, die sich darüber ein Urteil erlauben konnte.
»Mein Sohn Oliver, seine Frau Ana und ihre Kinder: Charles, Edward, Andrea, James und der kleine Henry«, erklärte sie zärtlich. Oliver sah ihr derart ähnlich, dass ihre Äußerung eigentlich nur bestätigte, was ich bereits vermutet hatte. Auch wusste ich nun, dass Oliver, als Sohn einer Hexe, ein Zauberer sein musste.
»Eine reizende Familie«, sagte ich höflich. Aber warum zeigte sie mir das? Ein wenig beunruhigt wartete ich auf die Erklärung, die wohl gleich folgen würde.
»Meine Schwiegertochter Ana ist ein Faeling«, erklärte sie prompt. »Ihre Mutter gehörte zu den Wasser-Fae.«
Kacke. Seine Frau war Faeling. Was bedeutete, dass ihre Kinder auch alle Faelinge sein mussten und damit leicht dem Fluch zum Opfer fallen könnten. Ich schaute mir das Foto genauer an: keine Kiemen, Schwimmhäute oder Fischaugen zu sehen. Sie und die Kinder mussten demnach mehr menschliche Gene als Fae-Gene in sich tragen. Bei dem Gedanken, wer von ihnen wohl den Vamps zum Opfer gefallen war, schnürte sich meine Kehle zu.
»Als Ana vierzehn war«, fuhr Victoria Harrier fort und tippte behutsam auf das Foto, »ist ihre Mutter abends auf dem Heimweg von der Arbeit spurlos verschwunden. Man hat sie drei Wochen später aus der Themse gefischt.«
»Vampire«, sagte ich überflüssigerweise.
»Ja. Ich habe mir später den Polizeibericht angesehen. Es war entsetzlich. Sie waren zu sechst gewesen, haben sie vollkommen ausgeblutet und dann weggeworfen wie eine leere Getränkedose.« Sie faltete die Hände und schwieg einen Moment lang betroffen. Als sie sich wieder beruhigt hatte, fuhr sie fort: »Ana hat danach verständlicherweise ein wenig den Kopf verloren, hat ihren Kummer in Wut zu ertränken versucht. Nur …« Sie hielt inne und holte tief Luft, strich ihren Rock glatt. »Nun, Sie wissen ja über diesen Fluch Bescheid, Ms Taylor. Sie können sich also vorstellen, wie es ausgeht, wenn ein vierzehnjähriger Teenager versucht, sich an der ganzen Welt zu rächen.«
Und ob ich das konnte. Ein Wunder, dass Ana überhaupt überlebt hatte. Und nicht nur das: Sie hatte einen liebenden Mann gefunden und einen Schwung Kinder mit ihm bekommen. Ich hätte ihr höchstens ein paar Jahre und einen langen, qualvollen Tod als
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