BKA - Die Jaeger des Boesen
Police gespeichert. Sie zu einem Gesamtbild vereinen können nur Spezialisten. Vorausgesetzt natürlich, sie tippen die richtigen Daten ein und stellen die richtigen Fragen, die sich daraus ergeben. Beispiele: Was wissen wir genau über den Tathergang? Gibt es bei Einbrüchen auffällige Übereinstimmungen mit den jeweiligen Tageszeiten? Gibt es Wochentage, an denen in bestimmten Gegenden Frauen nachts nicht überfallen wurden? Könnte das den Schluss erlauben, dass der Täter zum Beispiel mittwochs seine Mutter im Altenheim besucht und deshalb an diesen Tagen
keine Vergewaltigungen passieren? Weisen die Fluchtwege des Täters, notiert nach Aussagen der Opfer, die sogenannten Post Offence Movements, in die Richtung seines Wohnortes? Welche Taten ähneln sich und könnten verlinkt werden trotz Absence of Hard Evidence Forensics, obwohl es also keine beweiskräftigen Spuren vom Tatort gibt? Der Unterschied zwischen Hard Evidence und Intelligence only ist entscheidend; Ersteres ist gerichtsverwertbar, das andere reicht für eine bestimmte Hypothese oder dazu, den Kreis der Täter einzuschränken.
GIS ist nicht nur ein Programm, nicht nur ein System, nicht nur Technologie auf höchstem Niveau, GIS ist die eigentliche entscheidende Waffe der Crime Mapper, denn nur mit GIS können sie in digitalen Stadtplänen das Böse sichtbar machen. Je mehr gespeicherte Daten aus dem Schattenreich sie dafür benutzen können, desto präziser ihre Analysen.
Mit einer prinzipiellen Definition von Verbrechen als dem Bösen ist Christine Leist einverstanden, denn ein so abstrakter Begriff beinhaltet, dass auch die Guten nicht davor gefeit sind, vom Bösen, das in ihnen steckt, verführt zu werden. Sie spricht deshalb nicht von den Bösen, die es zu finden, zu jagen gelte, denn die Guten hätten bisher vielleicht nur dank Umwelt, Erziehung, Abstammung oder gar Glück vermeiden können, dem auch in ihnen lauernden Bösen zu erliegen, ihm freien Lauf zu lassen. Sie denkt bei der Arbeit nicht in den Kategorien Gut und Böse, Moralisch und Unmoralisch, weil das eine kühle Spurenanalyse, die von ihr in der Forensic Unit erwartet wird, beeinträchtigen würde.
Auch das hat sie in der Vergangenheit nicht nur theoretisch gelernt, sondern an lebenden Fallbeispielen studiert: »Ich habe früher ein Jahr lang bei der Bahnhofsmission in München gearbeitet, in Vollzeit, nicht nur nebenbei im Nachtdienst. Und da habe ich viel gelernt über Menschen und allzu Menschliches, und wie schnell es gehen kann, dass einer abstürzt. Genau dabei habe ich zudem begriffen, was ich eigentlich wollte. Über Stadtgeografie und empirische Stadtforschung, über Sozialgeografie und erlebte soziale Aspekte in der Bahnhofsmission und schließlich dann GIS
bin ich zum ersten Mal auf den Begriff »Crime Mapping« gestoßen. Ich wusste sofort, das ist es, was mich interessiert, das ist das, was ich will, dafür könnte ich brennen.«
Bewusst benutzt sie das Wort »brennen«, um ihre Leidenschaft für eine gerechte Sache zu beschreiben. Denn dass sie ein Gefühl von Befriedigung empfindet, wenn dank ihrer Spurenanalyse ein Straftäter von den Straßen Londons verschwindet, weil er einen festen Wohnsitz im Gefängnis verordnet bekommt, bestreitet sie nicht.
Christine Leist konnte zwar ein abgeschlossenes Studium der Geografie vor- und eine besondere Begabung für den Umgang mit Computern nachweisen, aber das hatte bisher nie für einen bestimmten Job in Deutschland gepasst. Zumindest nicht für einen, der sie langfristig hätte begeistern können. Aus der Mischung von Geografie und Betriebswirtschaft auf einer Planstelle Ökologischer Tourismus hätte sich bei einem der großen Reiseveranstalter, die gerade die Schlagwörter »Nachhaltigkeit« und »Umwelt« als Tools ihres Marketings entdeckt haben, vielleicht sogar was Sinnvolles entwickeln lassen. Probehalber hatte sie nach Abschluss des Studiums in einem Reisebüro auch mal damit angefangen, doch schnell war ihr klar, wie langweilig das auf Dauer für eine Frau wie sie sein würde. Offenbar gehört sie zu den Menschen, die auch als Erwachsene noch an das Buch ihrer Kindheit glauben, Maurice Sendaks »Higgelti Piggelti Pop«, wonach es im Leben mehr als alles geben müsse, irgendwo.
Doch wo dieses vage Irgendwo war, um Eigenheiten und Eigenschaften sinnvoll zu verbinden und am besten einzusetzen, wusste sie nicht. Wenn sie anderen erzählte, wovon sie träumte, stieß sie auf Unverständnis. Ihre Schilderung von der
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