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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Eifer ab, was mich aus irgendeinem Grund beunruhigte. Ich selbst verspürte nicht die geringste Lust, im finsteren Inneren von Morris’ riesigem Irrgarten herumzurobben.
    »Komm doch mit«, sagte Eddy. »Das müssen wir uns gemeinsam anschauen.«
    Ich nickte, etwas schwach in den Knien – in der Sprache unserer Freundschaft gab es keine Worte, um Nein zu sagen –, und ging die letzten paar Treppenstufen hinunter. Eddy schob den schwarzen Musselinvorhang beiseite, und aus einem großen runden Tunnel – einer Pappröhre von rund einem Meter Durchmesser – tönte Musik heraus: Die Ameisen marschieren, drei und drei, hurra! Hurra!
    Ich wollte mich gerade nach vorn beugen, um Eddy hinterherzukriechen, da trat Morris neben mich und packte mich mit überraschend festem Griff am Arm.
    Eddy sah sich nicht um, sah nicht, wie eng wir beieinanderstanden. »Meine Fresse! Wo geht’s denn hier lang?«, rief er.
    »Folge einfach der Musik«, sagte Morris.
    Eddys Kopf bewegte sich mit einem bedächtigen Nicken hin und her, als ob ihm das ohnehin klar gewesen wäre. Er rührte sich nicht, sondern starrte nur in den langen runden Tunnel hinein, der vor ihm lag.
    In völlig normalem Tonfall sagte Morris zu mir: »Geh nicht. Bleib lieber hier.«
    Eddy begann, sich in den Tunnel hineinzuschlängeln.
    »Eddy!«, rief ich in einem plötzlichen, unerklärlichen Anfall von Panik. »Eddy, warte einen Moment! Komm da wieder raus.«
    »Heilige Scheiße, ist es hier drin finster«, sagte er, als hätte er mich gar nicht gehört. Ja, ich bin mir sogar sicher, dass er mich nicht mehr gehört hat – dass er mich nicht mehr hören konnte, sobald er in Morris’ Labyrinth war.
    »Eddy! Geh da lieber nicht rein!«
    »Hoffentlich gibt’s da vorn ein paar Fenster«, murmelte er – er redete mit sich selbst. »Wenn ich Platzangst bekomme, steh ich einfach auf und reiß den ganzen Scheiß in Stücke.« Er holte tief Luft, atmete aus. »Okay. Dann mal los.«
    Der Vorhang fiel über seine Füße, und er war verschwunden.
    Morris ließ meinen Arm los. Ich sah ihn an, aber sein Blick war auf die weitläufige Festungsanlage gerichtet – und auf die Pappröhre, in die Eddy hineingekrochen war. Ich konnte hören, wie Eddy hindurchrobbte, sich immer weiter von uns entfernte; ich hörte, wie er am anderen Ende in einer großen Kiste herauskam, die anderthalb Meter hoch und etwa einen dreiviertel Meter breit war. Er stieß dagegen – vielleicht war er mit der Schulter an einer Seite hängen geblieben –, und sie wackelte ein kleines bisschen. Ein Papptunnel führte nach rechts, ein weiterer nach links. Er entschied sich für den Tunnel, der ungefähr Richtung Mond führte. Ich stand unterhalb der Kellertreppe und konnte beobachten, wie er sich weiterbewegte, wie die Kisten leicht erzitterten. Ich konnte das dumpfe Geräusch hören, das er verursachte, wenn er gegen eine der Wände stieß. Dann verlor ich ihn für einen Moment aus den Augen und fand ihn erst wieder, als ich seine Stimme hörte.
    »Ich kann euch sehen«, rief er.
    Ich hörte, wie er gegen eine dicke Plane klopfte, und entdeckte sein Gesicht hinter einem sternförmigen Fenster. Er grinste so breit, dass ich die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen sehen konnte. Er zeigte mir den Mittelfinger. Das rote Glühen von Morris’ Lavalampe tauchte ihn in ein fahles Licht, das erst heller und dann wieder dunkler wurde. Dann kroch er weiter.
    Ich habe ihn nie wiedergesehen.
    Aber gehört habe ich ihn noch. Noch eine ganze Weile vernahm ich das Geräusch seines Krabbelns in Richtung Mond, fort von uns, in die abgelegenen Regionen des Kellers. Über dem gedämpften Trällern der Musik – unter die Erde, raus aus dem Regen – hörte ich, wie er immer wieder gegen die Wände des Irrgartens stieß. Eine Kiste wackelte. Einmal kroch er offenbar über ein Stück Luftpolsterfolie, die in einem der Tunnel auf den Boden geheftet sein musste. Ein paar Plastikblasen platzten wie billige Knallerbsen, mit einem lauten, dumpfen Geräusch, und ich hörte, wie er »Kacke!« sagte.
    Dann kam eine ganze Weile nichts mehr. Schließlich ertönte seine Stimme noch einmal – rechts von mir, auf der anderen Seite des Raumes.
    »Scheiße!«, war alles, was er sagte. Zum ersten Mal glaubte ich in seinem Tonfall eine leichte Beunruhigung, eine gewisse Kurzatmigkeit herauszuhören.
    Kurz darauf sagte er wieder etwas, und ich verlor plötzlich die Orientierung, meine Knie wurden weich. Jetzt kam seine Stimme von viel

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