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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Staub erfüllt, Männer schrien wild durcheinander. Der Panzer bremste knirschend, und der Turm begann sich langsam zu drehen. Jemand brüllte Befehle durch das Megafon, Soldaten warfen sich zu Boden, und Francis stürzte sich hinaus. Seine Flügel machten ein Geräusch wie das Surren einer Kreissäge, die mit Holz gefüttert wird. Während er über die Schule hinwegflog, stimmte er ein Lied an.

Abrahams Söhne
    Maximilan suchte im Kutschenhaus und im Kuhstall nach ihnen, sogar im Kühlhaus, obwohl ihm eigentlich auf den ersten Blick klar war, dass sie dort nicht sein konnten. An einem so kühlen und feuchten Ort, ohne Fenster und Licht, wo es wie im Keller nach Fledermäusen roch, würde sich Rudi niemals verstecken. Zu Hause ging Rudi, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, nie in den Keller – er hatte Angst, die Tür könnte hinter ihm ins Schloss fallen und er wäre dann in der erstickenden Dunkelheit gefangen.
    In der Scheune sah Max als Letztes nach, aber dort waren sie auch nicht, und als er durch den Vorgarten zurückschlenderte, stellte er mit Schrecken fest, dass es bereits dämmerte. Er hätte nie gedacht, dass es schon so spät war!
    »Genug gespielt!«, rief er. »Rudolf! Wir müssen los.« Als er müssen sagte, klang es wie müschen – als ob ein Pferd nieste. Ihm war die eigene Stimme zuwider, und er beneidete seinen jüngeren Bruder um dessen sichere amerikanische Aussprache. Rudolf war hier zur Welt gekommen und hatte Amsterdam nie gesehen. Max hatte die ersten fünf Jahre seines Lebens dort verbracht, in einer dunklen Wohnung, die nach schimmligen Samtvorhängen und den Abwässern des Kanals vor dem Fenster roch.
    Max brüllte, bis er heiser war, aber letztlich bewirkte sein ganzes Rufen nur, dass Mrs. Kutchner mit vor der Brust verschränkten Armen – obwohl es gar nicht kalt war – auf der Veranda erschien und zum Geländer schlurfte. Sie umfasste es mit beiden Händen und hielt sich mühsam daran aufrecht.
    Letzten Herbst um dieselbe Zeit war Mrs. Kutchner noch schön rundlich gewesen, mit Grübchen in den Wangen und einem Gesicht, das stets von der Wärme der Küche gerötet war. Jetzt wirkte sie ausgezehrt, die Haut spannte sich über den Schädelknochen, und die fiebrigen Augen glänzten vogelartig in den tiefen Höhlen. Ihre Tochter Arlene – die sich jetzt gerade mit Rudi irgendwo versteckte – hatte im Flüsterton erzählt, dass ihre Mutter nachts einen Blecheimer neben dem Bett stehen hatte. Den Inhalt, übel riechendes Blut, leerte der Vater dann morgens im Plumpsklo aus.
    »Mach dich ruhig schon mal auf den Weg, mein Junge«, rief sie. »Ich werd deinem Bruder sagen, dass er nach Hause laufen soll, sobald er aus dem Loch gekrochen ist, in dem er jetzt hockt.«
    »Hab ich Sie geweckt, Mrs. Kutchner?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf, aber er hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen. »Tut mir leid, dass Sie wegen mir aufgestanden sind. Musste so laut rufen.« Dann sagte er vorsichtig: »Sollten Sie nicht lieber liegen bleiben?«
    »Spielst du jetzt den Doktor, Max Van Helsing? Glaubst du nicht, dass sich dein Dad schon genug um mich kümmert?«, sagte sie, einen Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln hochgezogen.
    »Nein, Ma’am. Ich mein, ja, Ma’am.«
    Rudi hätte jetzt sicher was Schlaues gesagt, und sie hätte laut gelacht und in die Hände geklatscht. Rudi gehörte ins Radio, als Kinderstar in irgendeine Varietésendung. Max wusste nie, was er sagen sollte, Humor war einfach nicht seine Sache. Es lag nicht nur an seinem Akzent, der ihm ständig zu schaffen machte und deshalb einer der Gründe war, weshalb er so wenig wie möglich sprach. Es war auch eine Frage des Temperaments. Er war oft einfach nicht in der Lage, seine lähmende Zurückhaltung zu überwinden.
    »Er ist ziemlich streng, wenn’s darum geht, dass ihr zwei vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause seid, nicht wahr?«
    »Ja, Ma’am.«
    »Da ist er nicht der Einzige«, sagte sie. »Viele haben den alten Kontinent mit rübergebracht. Obwohl ich nicht gedacht hätte, dass ein Arzt so abergläubisch sein kann. So gebildet, wie er ist.«
    Max unterdrückte ein angewidertes Schaudern. Zu sagen, sein Vater sei abergläubisch, war eine geradezu groteske Untertreibung.
    »Eigentlich sonderbar, dass er sich um einen Kerl wie dich so sehr sorgt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du jemals in Schwierigkeiten warst.«
    »Vielen Dank, Ma’am«, sagte Max – dabei hätte er am liebsten gesagt, sie solle doch wieder

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