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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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dass die Kinder ihre Eltern erziehen sollen. Ich sehe doch, wie er mich anschaut, wenn ich mit ihm rede. Wie er versucht, nicht zu lachen. Schlimm. Aber du. Wenn Rudolf nicht gehorcht, ist das wenigstens Absicht, er wehrt sich gegen mich. Aber du gehorchst mir aus Gleichgültigkeit nicht, machst das aus Gedankenlosigkeit. Und dann wunderst du dich, warum ich deinen Anblick manchmal nicht ertragen kann. Mr. Barnum hat ein Pferd, das kleine Zahlen zusammenzählen kann. In seinem Zirkus staunen alle darüber. Wenn du auch nur einmal ansatzweise verstehen würdest, was ich dir sagen will, dann wäre das genauso erstaunlich.« Er ließ Max’ Handgelenk los, und Max taumelte mit pochendem Arm einen Schritt zurück. »Geh mir aus den Augen, und ruh dich aus. Was da so unangenehm in deinem Kopf summt, das sind deine Gedanken. Bestimmt ein völlig neues Gefühl.« Er tippte sich gegen die Schläfen, um zu zeigen, wo die Gedanken schlummerten.
    »Jawohl, Sir«, sagte Max in einem Tonfall, der – das musste er selbst zugeben – dumm und ungehobelt klang. Warum klang sein Vater so kultiviert und weltmännisch, während derselbe Akzent ihn wie einen stumpfsinnigen Landarbeiter aus Skandinavien wirken ließ, der vielleicht noch eine Kuh melken konnte, aber ein aufgeschlagenes Buch nur ängstlich und verwirrt anglotzen würde? Max ging ins Haus, ohne noch einmal den Blick zu heben, und lief prompt in die Knoblauchknollen, die vom Türsturz hingen. Sein Vater brummte nur verächtlich.
    Max saß in der Küche. Am anderen Ende des Tisches brannte eine schwache Lampe, die jedoch nicht hell genug war, um die Dunkelheit zu vertreiben, die im Raum herrschte. Er wartete und lauschte mit geneigtem Kopf, damit er durch das Fenster auf den Hof hinausschauen konnte. Seine englische Grammatik lag aufgeschlagen vor ihm, aber er schenkte ihr keine Beachtung. Er brachte es einfach nicht fertig, etwas anderes zu tun, als dazusitzen und nach Rudi Ausschau zu halten. Nach einer Weile war es jedoch zu dunkel, um die Straße noch erkennen zu können. Die Wipfel der Kiefern sahen vor dem Himmel, der die Farbe erlöschender Glut angenommen hatte, wie schwarze Schattenrisse aus. Bald waren auch sie verschwunden, und aus der Finsternis tauchten eine Handvoll Sterne auf. Max hörte seinen Vater draußen im Schaukelstuhl – die Holzkufen quietschten auf den Verandadielen leise hin und her. Max fuhr sich mit den Händen durchs Haar, zerrte daran, sang Komm schon, Rudi vor sich hin – wenn nur das Warten endlich vorbei wäre. Eine Stunde verging. Vielleicht auch nur fünfzehn Minuten.
    Dann hörte er das leise Tappen der Schuhe seines Bruders auf dem kalkigen Boden am Straßenrand. Als er den Hof betrat, wurde er langsamer, aber Max vermutete, dass er gerannt war, eine Annahme, die sich bestätigte, als Rudi etwas sagte. Obwohl er sich bemühte, in gewohnt freundlichem Ton zu sprechen, war er so sehr außer Atem, dass sein Worte ganz abgehackt klangen.
    »’tschuldigung. ’tschuldigung. Mrs. Kutchner. Ein Missgeschick. Sollte ihr helfen. Ich weiß. Ist spät.«
    Der Schaukelstuhl hielt inne. Die Dielen knarrten, als ihr Vater aufstand.
    »Das hat Max erzählt. Und, habt ihr aufgeräumt?«
    »Ja. Ja, klar. Arlene und ich. Arlene ist durch die Küche gerannt. Hat nicht aufgepasst. Mrs. Kutchner … Mrs. Kutchner hat einen Stapel Teller fallen lassen …«
    Max schloss die Augen, senkte den Kopf und zerrte verzweifelt an seinen Haarwurzeln.
    »Mrs. Kutchner sollte sich schonen. Ihr geht’s nicht gut. Ich dachte, sie kommt kaum aus dem Bett.«
    »Das habe … das habe ich auch gedacht.« Seiner Stimme nach stand Rudi jetzt direkt unterhalb der Veranda. Allmählich beruhigte sich sein Atem. »Es ist noch gar nicht richtig dunkel.«
    »Nicht? Aha. In meinem Alter sieht man nicht mehr so gut, und oft verwechsle ich Dämmerung und Nacht. Und ich hab geglaubt, die Sonne wär schon vor zwanzig Minuten untergegangen. Wie viel Uhr ist es jetzt?« Max hörte, wie die Taschenuhr seines Vaters aufschnappte. Er seufzte. »Aber es ist zu spät, ich kann die Zeiger nicht mehr sehen. Nun denn. Deine Sorge um Mrs. Kutchner ist bewundernswert.«
    »Ach … das war nichts …«, sagte Rudi und setzte den Fuß auf die unterste Stufe der Veranda.
    »Aber jetzt mal im Ernst, du solltest dich mehr um dein eigenes Wohlergehen sorgen, Rudolf«, sagte ihr Vater mit ruhiger, fast gütiger Stimme – ein Ton, den er wohl gegenüber Patienten anschlug, von denen er wusste, dass

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