Black Box
hin und wieder hoch, um zu schauen, was gerade im Fernsehen lief, und stellte seltsame Fragen: »Findet ihr diese Mädchen scharf?« – »Wäre es euch peinlich, bei einer Schlammschlacht von einer Frau besiegt zu werden?« – »Ist das vielleicht sogar der Sinn und Zweck dabei?« Es war nie klar, mit wem sie redete, und meistens antwortete ich zuerst, nur um die Stille zu durchbrechen. Nick verhielt sich, als würde sein Kiefer immer noch von Draht zusammengehalten. Jedes Mal, wenn Angie über eine meiner Antworten lachte, verzog er den Mund zu einem bemühten Grinsen. Einmal lachte sie besonders laut und legte mir dabei die Hand auf den Arm. Auch das missfiel ihm ganz offensichtlich.
Angie und ich waren zwei Jahre lang befreundet, bevor wir uns das erste Mal küssten: in einer Abstellkammer auf einer Party, während die anderen lachend vor der Tür standen und unsere Namen riefen. Drei Monate später schliefen wir das erste Mal miteinander, in meinem Zimmer, bei offenem Fenster; eine kühle Brise trug den süßen Duft der Kiefern zu uns herein. Danach fragte sie mich, was ich später einmal werden wollte, und ich erwiderte, dass ich gerne Drachenfliegen lernen wollte. Wir waren beide achtzehn Jahre alt und mit der Antwort zufrieden.
Später, nachdem sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen hatte und wir zusammen in eine Wohnung in die Stadtmitte gezogen waren, fragte sie mich erneut, was ich werden wollte. Ich hatte den Sommer über als Maler gearbeitet, hatte Häuser angestrichen, doch das war nun vorbei. Bisher hatte ich noch keinen neuen Job gefunden, und Angie meinte, dass ich mir allmählich Gedanken darüber machen sollte, was ich auf lange Sicht vorhatte. Sie wollte, dass ich wieder aufs College ging. Ich sagte ihr, ich würde darüber nachdenken, und während ich das tat, verpasste ich den Immatrikulationstermin für das kommende Semester. Sie fragte mich, ob ich nicht Rettungssanitäter werden wolle, und verbrachte mehrere Tage damit, die Unterlagen zusammenzutragen, die ich hätte ausfüllen müssen, um mich für einen entsprechenden Lehrgang zu bewerben: Formulare, Fragebögen, Anträge auf finanzielle Beihilfen. Sie stapelten sich neben dem Kühlschrank und bekamen immer mehr Kaffeeflecken, bis sie schließlich entsorgt wurden. Es war nicht Faulheit, die mich davon abhielt. Mein Bruder studierte in Boston Medizin – er würde glauben, dass ich unbedingt so sein wollte wie er, und diese Vorstellung erfüllte mich mit Widerwillen.
Angie sagte, es müsse doch irgendetwas geben, das ich gerne machen wolle. Ich erklärte, ich wolle mit ihr nach Alaska, an den Rand des Polarkreises ziehen und dort Kinder und Schlittenhunde haben. Wir würden in einem Treibhaus Tomaten und grüne Bohnen anpflanzen und unseren Lebensunterhalt damit verdienen, Touristen auf Hundeschlitten durch die Gegend zu fahren. Wir würden der Welt der Supermärkte, des Breitbandinternets und der luxuriösen sanitären Anlagen den Rücken kehren. Wir würden auf einen Fernseher verzichten. Im Winter würde das Nordlicht den ganzen Tag lang den Himmel bemalen, und im Sommer würden unsere Kinder halbwild leben, auf namenlosen Bergen Ski fahren und verspielte Seehunde am Kai hinter unserem Haus füttern.
Wir hatten gerade erst damit begonnen, uns in unserem gemeinsamen Leben einzurichten, und wann immer ich über Kinder sprach, die Seehunde fütterten, sah mich Angie auf eine Art und Weise an, bei der ich mich unsicher und hoffnungsvoll zugleich fühlte – hoffnungsvoll mir selbst gegenüber, dem, was aus mir werden könnte. Wie ein Seehund hatte auch Angie riesige Augen, braun, mit einem goldfarbenem Ring um die Pupille. Sie starrte mich an, ohne zu blinzeln, und hörte mit leicht geöffneten Lippen aufmerksam zu – ein Kind, dem gerade seine Lieblingsgeschichte vorgelesen wird.
Doch dann wurde ich mit Alkohol am Steuer erwischt, und jedes Mal, wenn ich daraufhin Alaska erwähnte, verzog sie nur das Gesicht. Ich verlor deshalb auch meinen Job, was zugegebenermaßen kein großes Drama war, schließlich war ich nur Pizzalieferant, doch Angie hatte immer mehr Probleme, die laufenden Rechnungen zu bezahlen. Sie machte sich unentwegt Sorgen, zog sich mehr und mehr von mir zurück, was in unserer Dreizimmerwohnung nicht ganz so einfach war.
Hin und wieder sprach ich Alaska an, um sie etwas aus der Reserve zu locken, aber das machte sie nur noch wütender. Sie wollte wissen, wie es wohl in unserer Hütte aussehen
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