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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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würde, wenn ich nicht einmal in der Lage war, diese Wohnung hier sauber zu halten, obwohl ich den ganzen Tag zu Hause hockte. In ihrer Vorstellung spielten unsere Kinder auf einer einsturzgefährdeten Veranda, während wild gewordene Mischlinge im Vorgarten zwischen verrosteten Schneefahrzeugen herumtobten. Sie sagte, dass sie jedes Mal, wenn ich darüber redete, am liebsten losschreien würde, weil das alles so jämmerlich, so weit von der Wirklichkeit entfernt sei. Sie sagte, ich hätte ein Alkoholproblem oder sei depressiv. Sagte, ich sollte eine Therapie machen, obwohl uns dafür natürlich das Geld fehlte.
    Nichts davon erklärt allerdings, warum sie mich verlassen hat. Es lag nicht an der Gerichtsverhandlung oder daran, dass ich trank und nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte. Der eigentliche Grund für unsere Trennung war viel schrecklicher – so schrecklich, dass wir nicht darüber reden konnten. Hätte sie ihn erwähnt, hätte ich mich nur über sie lustig gemacht; und ich konnte ihn nicht zur Sprache bringen, weil ich mir fest vorgenommen hatte, so zu tun, als wäre nichts geschehen.
    Eines Abends stand ich am Herd und briet Eier und Schinken. Ich legte Wert darauf, dass das Abendessen immer fertig war, wenn sie nach Hause kam; sie sollte sehen, dass ich zwar angeschlagen, aber noch lange nicht am Ende war. Ich erzählte ihr, dass wir am Yukon Schweine züchten, Schinken räuchern und an Weihnachten ein Ferkel schlachten würden. Sie erwiderte, das sei nicht mehr witzig. Es war mehr ihr Tonfall als ihre Worte. Ich sang das Lied aus »Der Herr der Fliegen«: Schlachtet das Schwein, lasst es ausbluten … und sie rief mit schriller Stimme: »Hör auf, hör endlich auf!« Ich hielt ein Messer in der Hand – ich hatte es benutzt, um die Schinkenpackung zu öffnen –, und Angie lehnte an der Küchentheke, keine zwei Meter von mir entfernt. Plötzlich hatte ich ein Bild vor Augen – wie ich ihr mit dem Messer die Kehle aufschlitzte, wie sie sich mit weit aufgerissenen Seehundaugen an den Hals fasste und das kirschrote Blut in das V ihres Pullovers lief.
    Während ich das dachte, fiel mein Blick tatsächlich auf ihren Hals – dann sah ich ihr in die Augen. Ganz klar: Sie hatte Angst. Behutsam stellte sie ihr Glas Orangensaft in die Spüle und sagte, sie habe jetzt keinen Hunger, sondern würde sich lieber ein wenig hinlegen. Vier Tage später ging ich kurz um die Ecke, um Brot und Milch zu kaufen, und als ich zurückkam, war sie fort. Sie rief von ihren Eltern aus an und sagte, wir bräuchten etwas Abstand voneinander.
    Dabei war das alles nur in Gedanken geschehen. Kann doch jedem mal passieren, oder?
     
    Als ich mit der Miete zwei Monate im Rückstand war und der Vermieter erklärte, er könnte einen Räumungsbefehl erwirken, zog auch ich nach Hause. Meine Mutter renovierte gerade, und ich sagte, ich wolle ihr dabei helfen. Das wollte ich wirklich. Ich suchte verzweifelt nach irgendetwas, womit ich mich beschäftigen konnte – seit vier Monaten war ich nun ohne Arbeit, und im Dezember hatte ich einen Gerichtstermin.
    In unserem ehemaligen Kinderzimmer hatte meine Mutter die Wände rausgerissen und die Fenster ausgebaut. Die Löcher in der Mauer waren mit Plastikplanen abgedeckt, der Boden von Putzresten übersät. Ich machte es mir also im Keller neben Waschmaschine und Trockner gemütlich. Den Fernseher – ich konnte ihn nicht in der alten Wohnung zurücklassen, er musste mir Gesellschaft leisten – stellte ich auf einen Flaschenträger.
    Meine Mutter kümmerte sich nicht weiter um mich. Sie teilte mir lediglich mit, dass ich die Finger von ihrem Auto lassen sollte. Wenn ich mich betrinken und einen Unfall bauen wolle, solle ich mir ein eigenes Auto dafür kaufen. Der größte Teil ihrer Kommunikation war nonverbal. Wenn sie mich etwa wissen lassen wollte, dass es an der Zeit war, aufzustehen, stampfte sie auf den Fußboden über meinem Bett auf, und in stillem Zorn sah sie mich über das Brecheisen hinweg an, wenn sie damit die Dielen im Kinderzimmer heraushebelte, gerade so, als wolle sie alle Zeugnisse meiner Kindheit in ihrem Haus beseitigen.
    Der Boden des Kellers war aus löchrigem Beton, die Decke ein Labyrinth niedrig hängender Rohre. Aber wenigstens gab es dort ein separates Bad, ein unverhältnismäßig sauberer Raum mit geblümtem Linoleumboden und einer nach Wald riechenden Duftschale auf dem Spülkasten. Während ich pinkelte, konnte ich die Augen schließen, tief einatmen und

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