Black Cats 01. Was kostet der Tod
dass der Schmerz irgendwann einfach nicht mehr existierte, weil der Geist voller Verzweiflung die Flucht in eine andere Welt ergriff.
Würde das auch passieren, wenn man sich den Schmerz selbst zufügte? Das hatte er sich schon oft gefragt.
Wieder presste er den Finger gegen die Taste. So fest, dass das Metall ihm in die Kuppe schnitt und einen Abdruck hinterließ. Das Gelenk überdehnte sich, seine Fingerspitze leuchtete rot, die Knöchel wurden gespenstisch bleich.
Er konnte ihn umknicken. Ganz leicht.
»Jetzt nicht«, flüsterte er. Er war beschäftigt. Das konnte er ein andermal ausprobieren, so wie er auch schon ausprobiert hatte, wie es sich anfühlte, wenn man die Fußsohlen über eine Flamme hielt oder sich eine Klinge über den Bauch zog.
Jetzt gab es nur noch eins. Die Geräusche aus den voll aufgedrehten Lautsprechern schwollen an, erfüllten das Zimmer, seine Ohren, sein Gehirn.
Erfüllten seine Seele.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Eine Welt fiel in sich zusammen, eine andere baute sich vor ihm auf, voller unerforschter Orte und faszinierender Möglichkeiten.
Keine hasserfüllten Stimmen schlugen ihm entgegen, und das blieb auch so. Nur das virtuelle Geplapper seiner Freunde. Die meisten Leute würden beim Zuhören lediglich Kauderwelsch wahrnehmen. Aber er verstand alles, auch ohne die vielen Textnachrichten zu lesen, die gleich bei seiner Ankunft auf dem Spielplatz aufleuchteten. Willkommen, wo warst du so lange? Komm mit, ich zeige dir mein neues Projekt. Nimm mich! Erwähle mich! Tu mir weh!
Wir haben dich vermisst.
Alle seine Freunde waren hier und warteten auf ihn – in der einzigen Welt, in der er leben wollte. Hier war er jemand. Hier schimpfte ihn niemand nutzlos oder hässlich. Hier respektierten sie ihn, hatten Ehrfurcht vor ihm. Hatten Angst.
Denn an diesem Ort wusste jeder, wer er wirklich war. Und wozu er fähig war.
Wann? , fragte jemand. Andere stimmten mit ein. Wann zeigst du uns wieder etwas?
Er schaute nach dem Datum – fast fünf Wochen waren seit seiner letzten Premiere vergangen. Dann prüfte er seinen Kontostand – sehr niedrig. Er hatte keine Ahnung, wie er zurechtgekommen war, als er anfangs nur alle paar Monate eine Auktion abgehalten hatte.
Allmählich wurde es Zeit. Es gab Dinge, die er sich kaufen wollte, Orte, die er sehen wollte, und ihm fehlte das Geld dafür.
Außerdem begannen ihm die Handflächen zu jucken. Die rechte Hand stand für Geldsegen, die linke für Verlust – so hieß es wohl. Aber für den Sensenmann bedeuteten sie beide nur eins.
Es war an der Zeit, jemanden kaltzumachen.
Dean wollte am liebsten sofort mit der Arbeit loslegen und nach dem Tatort suchen. Obwohl sie vermuteten, dass Lisa vor langer Zeit gestorben war, und daher die Chance, dass sie noch irgendetwas finden würden, verschwindend gering ausfiel, war dies der erste echte Durchbruch in dem Fall. Alle anderen Leichen waren auf Müllhalden und an ähnlichen Orten entdeckt worden, ohne einen Hinweis darauf, wo der Mord geschehen war.
Dass sie diese Spur den scharfen Augen eines Kleinstadt-Sheriffs mit einem großartigen Hintern verdankten, war Dean nicht entgangen.
»Genug davon«, brummte er. Nicht einmal in Gedanken wollte er sich auf diese Art und Weise mit Stacey Rhodes befassen. Egal, wie anziehend sie war – sowohl körperlich als auch geistig.
»Wie bitte?«
»Ach, nichts«, sagte er zu Wyatt. »Ich wünschte bloß, wir könnten endlich mit der Suche anfangen.«
Aber das konnten sie nicht. In den vergangenen zwei Stunden hatten sie gemeinsam mit dem Sheriff einen Plan für die Suche aufgestellt und beschlossen, erst am nächsten Morgen zu beginnen. Nicht nur, weil der Tag schon weit fortgeschritten war, sondern auch, weil sie zu wenig Leute waren. Selbst wenn der Sheriff sie mit ihren Deputys unterstützte, würden sie es niemals schaffen, mehrere Hundert Hektar Wald zu durchkämmen.
Außerdem kannten er und Wyatt keinen einzigen der Deputys, die ihr unterstanden. Es konnte schließlich sein, dass das ein Haufen ältlicher Dorftrottel war, die schon seit Jahrzehnten auf ihren Posten saßen. Angesichts der gähnenden Leere auf dem Revier und der saloppen, ungezwungenen Atmosphäre, die dort herrschte, erwarteten sie nicht gerade eine Spitzencrew.
Stacey Rhodes allerdings war allemal spitzenmäßig.
»Eine ziemlich bemerkenswerte Frau, was?«, fragte Wyatt, als sie die Hauptstraße entlangfuhren und nach dem einzigen Hotel in der Stadt Ausschau
Weitere Kostenlose Bücher