Black Cherry Blues (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Verträge und Urkunden, durch die wir unser Land verloren haben, bedeutungslos sind. Manchmal hört man am Marias River das Weinen der Kinder und Frauen im Wind. An den Raketensilos erscheint eine Indianerin in einem Kleid aus weißem Rehleder. Soldaten der Air Force haben sie gesehen. Sie können Sie fragen.«
»Glauben Sie auch an diese Geister?«
»Ich bin nachts am Marias gewesen. Ich habe sie gehört. Die Geräusche erklingen an genau der Stelle am Flußufer, an der das Lager war. Es ist im Winter 1870 passiert. Ein Armeeoffizier namens Baker befahl den Angriff auf eine wehrlose Gruppe Schwarzfuß, die von Heavy Runner geführt wurde. Sie töteten hundertdreißig Menschen, verbrannten dann ihre Felldecken und Zelte und ließen die Überlebenden erfrieren. Man kann sie noch heute weinen hören.«
»Ich muß gestehen, daß ich noch nie was davon gehört habe. Oder von der Geschichte Ihres Volkes.«
Sie aß, ohne zu antworten.
»Aber ich glaube auch nicht, daß es gut ist, so was mit sich rumzuschleppen«, sagte ich.
Sie blieb stumm, hielt den Kopf gesenkt, und schließlich gab ich es auf.
»Schauen Sie, würden Sie Clete was von mir ausrichten?«
»Und zwar?«
»Daß er nicht in meiner Schuld steht, daß er sich wegen nichts Vorwürfe zu machen braucht und daß ich einen Mann wie Sally Dio nicht in die Mangel nehmen werde. Sagen Sie ihm auch, daß er mit einem netten Mädchen nach New Orleans verschwinden soll. Dorthin gehen anständige Menschen nämlich zum Sterben.«
Sie lächelte. Ich sah in ihre Augen und auf ihren Mund, riß mich dann aber zusammen und blickte zur Seite.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte sie. »Hoffentlich fühlen Sie sich besser.«
»Tu ich. Sie waren wie ein echter Freund, Darlene. Clete ist ein Glückspilz.«
»Danke, aber ein Glückspilz ist er nicht, nicht im geringsten.«
Ich wollte nicht länger über Cletes Probleme reden oder mir seine Sorgen aufhalsen. Ich brachte sie raus zu ihrem Toyota-Jeep und hielt ihr die Tür auf. Die Bürgersteige trockneten noch im Sonnenschein, und auf den Bergen zeichnete sich das scharfe Grün der Kiefern vor dem Himmel ab.
»Vielleicht habt ihr beide ja mal Lust, in die Stadt zu kommen und essen zu gehen, oder wir wandern hoch in die Canyons der Bitterroots und tanken etwas frische Luft«, sagte ich.
»Vielleicht. Ich frag ihn«, sagte sie und lächelte wieder.
Ich sah ihr nach, als sie am Schulhof vorbeifuhr und auf die Hauptstraße bog. Es war einer jener Momente, in denen ich nicht über meine Aufrichtigkeit nachdachte oder wissen wollte, was mir wirklich durch den Kopf ging.
Ich spülte das Geschirr ab, zog Laufschuhe, Sporthose und ein Sweatshirt an und rannte zwei Meilen den Fluß entlang, schlug dann den Bogen zurück durch ein im Stil der Jahrhundertwende gehaltenes Viertel voller gelber und orangeroter Backsteinhäuser, in deren Vorgärten Blautannen, Kiefern, Ahornbäume, Birken und Weiden wuchsen. In der kühlen Luft schwitzte ich heftig, und beim Überqueren einer Kreuzung mußte ich alle Reserven mobil machen, um mein Tempo zu erhöhen; doch meine Ausdauer war gut, die Muskeln an Schenkeln und Rücken waren fest und meine Gedanken klar. Der übrige Tag versprach freundlich zu verlaufen, ohne grauumnebelte Schwermut oder körperlose Stimmen.
Ach, die Stimmen, dachte ich. Sie glaubt daran. Wie jeder Psychologiestudent bestätigen wird, ist dies ein Hauptsymptom einer schizophrenen Persönlichkeit. Aber psychiatrischen Definitionen bezüglich einzigartiger und exzentrischer Verhaltensweisen konnte ich noch nie viel abgewinnen. Vielmehr kam ich, wenn ich die Freundschaften bedachte, die ich im Lauf der Jahre geschlossen hatte, zu dem Schluß, daß ich die interessantesten davon mit schwer Verhaltensgestörten eingegangen war, mit Jagdscheininhabern, Säufern, geistig Minderbemittelten, solchen, die jeden Tag mit einem Nervenzusammenbruch begannen, und Menschen, die sich mit Saugnäpfen an diese Welt klammerten.
Als ich am Flußufer um die Ecke zu meiner Straße kam, hörte ich in der Grundschule die Pausenglocke läuten und sah, wie die Kinder auf die Straße stürmten. Alafair hatte ihre Frühstücksdose umhängen und lief zwischen drei anderen Kindern. Als ich an ihr vorbeikam, rannte ich rückwärts.
»Wir treffen uns daheim, kleines Kerlchen«, sagte ich.
Ich rasierte mich, duschte und nahm Alafair mit zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker, das nur drei Straßen von unserem Haus entfernt stattfand. Sie trank im Café
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