Black Dagger 05 - Mondspur
dass ich dich heute Nacht nicht dorthin gebracht habe?«
John legte die Hand auf Tohrs Arm und schüttelte heftig den Kopf.
»Gut, ich wollte nur noch mal nachfragen.«
John wandte den Blick ab. Er wünschte, er wäre niemals zu diesem Arzt gegangen. Oder zumindest, dass er dort die Klappe gehalten hätte. Mist. Er hätte kein Wort über den Vorfall vor fast einem Jahr sagen sollen. Das Blöde war, nach all den Fragen über seine Gesundheit war er schon so aufs Antworten programmiert gewesen, dass er einfach weiter Auskunft gegeben hatte. Als der Arzt sich dann nach seinen sexuellen Erfahrungen erkundigte, hatte er die Sache im Januar angedeutet. Frage. Antwort. Wie all die anderen … irgendwie.
Einen Augenblick lang war es eine Erleichterung gewesen. Er hatte sich danach nicht untersuchen lassen, und in seinem Hinterkopf spukte immer die Sorge herum, dass er etwas versäumt hatte. Zumindest – hatte er sich gedacht – war es jetzt heraus, und er konnte einen Schlussstrich unter den Überfall ziehen. Doch stattdessen hatte der Arzt auf ihn eingeredet, eine Therapie zu machen und über seine Erfahrung zu sprechen.
Um das Ganze noch mal durchzumachen? Er hatte Monate damit verbracht, die Sache tief in sich zu vergraben. Den verrottenden Leichnam würde er bestimmt nicht wieder ausbuddeln. Es hatte ihn genug Mühe gekostet, ihn unter die Erde zu bringen.
»Sohn? Was ist los?«
Auf gar keinen Fall würde er zu so einem Therapeuten gehen. Ein Trauma? Scheiß drauf.
John holte den Block heraus und schrieb: Bloß müde.
»Sicher?«
Er nickte und sah Tohr in die Augen, damit der Mann glaubte, er lüge nicht. Gleichzeitig schrumpfte er innerlich zusammen. Was würde Tohr nur von ihm denken, wenn er davon wüsste? Echte Männer ließen so etwas nicht geschehen, egal, war für eine Waffe man ihnen an die Kehle hielt.
John schrieb: Nächstes Mal würde ich gern allein zu Havers gehen, okay?
Tohr zog die Stirn kraus. »Also … das ist nicht so klug, mein Sohn. Du brauchst einen Leibwächter.«
Dann muss jemand anders mitkommen. Nicht du.
Er konnte Tohr nicht ansehen, als er ihm den Zettel hinhielt. Es gab ein langes Schweigen.
Endlich sagte Tohr mit sehr tiefer Stimme: »Gut. Das ist … ähm, das ist in Ordnung. Vielleicht kann Butch dich hinbringen.«
John schloss die Augen und stieß die Luft aus seinen Lungen aus. Wer auch immer dieser Butch war, von ihm aus ging das klar.
Dann ließ Tohr den Motor an. »Was immer du willst, John.«
John. Nicht Sohn.
Auf dem Weg nach Hause konnte er immer nur denken: Lieber Gott, bitte lass Tohr niemals davon erfahren.
13
Als Bella auflegte, schoss ihr flüchtig durch den Kopf, dass das, was sich in ihrem Inneren abspielte, ihr jeden Moment die Brust zerreißen würde. Es war einfach ausgeschlossen, dass ihre spröden Knochen und ihre zarte Haut diese Art von Gefühl lange aushalten konnten.
Verzweifelt blickte sie sich im Raum um, nahm die undeutlichen, verschwommenen Konturen von Ölgemälden und antiken Möbeln, Lampen mit geschnitzten Füßen und orientalischen Vasen wahr und … Phury, der sie von einer Chaiselongue aus anstarrte.
Sie ermahnte sich, dass sie genau wie ihre Mutter eine Dame war. Also könnte sie zumindest so tun, als hätte sie sich unter Kontrolle. Sie räusperte sich. »Danke, dass du bei mir gewartet hast, während ich meine Familie angerufen habe.«
»Ist doch selbstverständlich.«
»Meine Mutter war … sehr erleichtert, meine Stimme zu hören.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Zumindest hatte ihre Mutter ein paar Worte der Erleichterung geäußert. Ihre Stimme hatte so glatt und ruhig geklungen wie immer. Lieber Himmel … die Frau war immer so still wie ein tiefer Brunnen, völlig ungerührt von irdischen Ereignissen, gleich wie unerbittlich oder grauenvoll. Und alles wegen ihrer Ergebenheit gegenüber der Jungfrau der Schrift. In der Welt ihrer Mahmen gab es für alles einen Grund … und doch schien nichts besonders wichtig.
»Meine Mutter … ist sehr erleichtert. Sie …« Bella stockte.
Das hatte sie doch schon gesagt, oder? »Mahmen war … sie war wirklich … sehr erleichtert.«
Doch es hätte geholfen, wenn wenigstens ihre Stimme erstickt geklungen hätte. Oder sie eine andere Regung gezeigt hätte als das selige Einverständnis einer spirituell Erleuchteten in alle Geschehnisse des Universums. Um Himmels willen, die Frau hatte ihre Tochter begraben und war dann Zeugin ihrer Wiederauferstehung geworden. Man könnte
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