Black Monday
Der Mentor ist immer interessiert an der Lebensmittelsituation.
Einer der Männer öffnet eine Tüte, die ein halbes Dutzend fettige, in Folie gewickelte Päckchen enthält. Ein fauliger Gestank entsteigt der Tüte. »Mongolenpferd«, sagt der Mann. »Aus dem Zoo.«
Pastor Young sieht den Mann skeptisch an.
»Also gut, es ist Gürteltier. Aber schmackhaft.«
Als die Männer sich verziehen, nimmt Young die Hand von seiner Glock.
Ich weiß nicht, wo Gerard ist, aber ich weiß, wo ich seine Familie finde, denkt er beim Weitergehen.
Die Erdgeschossfenster der Wohnhäuser sind zum Schutz gegen Kugeln, Steine und Plünderer mit Metallschildern verbarrikadiert: 30 MPH, DROGENFREIE ZONE, MONTESSORISCHULE.
An der Feuerwehr biegt Pastor Young von der Connecticut Avenue ab. Von der St.-Paul's-Kirche trennen ihn nur noch gut dreißig Meter Rasenfläche. Die Eingangstür ist unverriegelt. Von drinnen hört er die Stimmen zahlreicher Flüchtlinge. Seit Tagen schon beobachtet er diesen Ort.
Man hat meine Kirche niedergebrannt, sagt er sich im Geiste noch einmal vor, als er das Gotteshaus betritt.
Dort, mitten in der Menge, steht der Pastor und beugt sich gerade über ein schreiendes Kleinkind. Das Gesicht des Kleinen ist vom Weinen verquollen, sein Kopf wirkt riesig im Vergleich zu dem ausgemergelten Körper. Das Kind weigert sich, den wässrigen Haferschleim zu essen, den seine verzweifelte Mutter ihm einzuflößen versucht. Als Pastor Van Horne sich umdreht, sieht er Pastor Young hilflos und mit Tränen in den blauen Augen dastehen.
»Man hat meine Kirche niedergebrannt«, sagt Young.
»Das tut mir leid«, antwortet Pastor Van Horne.
»Ich habe Lebensmittel«, sagt Young, während er seine Manteltaschen leert. Zum Vorschein kommen Konservendosen mit Frühstücksfleisch, Kichererbsensuppe, Thunfisch und Pflaumen.
»Wie überaus großzügig«, stammelt Van Horne.
»Sie haben meine Frau erschossen.«
In wenigen Stunden werden Gerards Frau und Kinder wie jeden Tag hierherkommen. Wenn ich es nicht schaffe, zu ihnen zu gelangen, dann sollen sie eben zu mir kommen.
Draußen schneit es immer heftiger, und der Wind hat deutlich zugenommen.
Pastor Van Horne sagt zu Pastor Young: »Bleiben Sie bei uns, mein Freund. Dieses Haus ist für jeden offen.« Es ist 19 Uhr 15.
Eine Stunde zuvor hat Gerard das Tal des Naugatuck River in Connecticut unter den verblassenden Sternen verlassen und pflügt mit etwa 26 Meilen pro Stunde über die schneebedeckte Route 44 in Richtung Osten. Auf dem Weg vorbei an den Kleinstädten Otis und New Boston ist er immer in den Spuren anderer Schneemobile gefahren, um selbst keine zu hinterlassen. An der alten Weberstadt Winsted ist er nach Osten in Richtung Hartford abgebogen. Kurz darauf ist er in Canton, wo er die halbe Strecke hinter sich hat.
Ich bin mit einem vollen Tank losgefahren. Laut Landkarte braucht man mit dem Auto anderthalb Stunden von Hartford nach Becket. Wenn alles gut geht, müsste ich um sieben Uhr dort sein.
Die ländlichen Orte sind eine rauchfreie Oase in einem weißen Meer. In der gespenstischen Stille entdeckt Gerard hin und wieder von weitem einzelne Schneemobile. Kleine Einkaufszentren kommen in Sicht. Die Schneewehen werden niedriger. Ein brutal kalter Wind pfeift von Süden her.
Falls Theresa den Hubschrauber losgeschickt hat, um nach mir zu suchen, wird sich der Pilot wahrscheinlich nicht mit den kleinen Nebenstraßen aufhalten, sondern sich auf die Interstate konzentrieren.
Nachdem er seine Wachschicht angetreten, den Schlitten abgekoppelt und die anderen Schneemobile fahruntauglich gemacht hat, ist er um 4 Uhr 10 von Jacob's Pillow aufgebrochen. Der Motor des Schneemobils ist ziemlich leise, die Scheinwerfer hat er vor dem Start mit einer Decke abgedunkelt. Bei Mondlicht ist er über Waldwege zur Landstraße gefahren.
Dem zivilen Wachposten hat er sogar zugewinkt.
Jetzt, eine halbe Stunde vor Hartford, fährt er an Wäldern und gefrorenen Wasserfällen vorbei, in denen die aufgehende Sonne glitzert. In der Luft treiben Eiskristalle. Auf einem Schild steht: TALCOT MOUNTAIN STATE PARK.
Nicht zu schnell in die Kurven fahren.
Die Kälte kriecht ihm unter die Balaklavamütze. Zwar hält die Windschutzscheibe den Fahrtwind ganz gut ab, aber in Kurven schneiden ihm Böen ins Gesicht.
Diesmal wird Theresa nicht für mich lügen.
Aber jetzt, da sie den Brief und den Bericht haben – und das Benzin noch knapper ist –, hofft er, dass sie ihn eine Weile in Ruhe
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