Black Monday
zurückzugelangen.
Gerard findet Agentin Saiko im Speisesaal, wo bis eben gesungen wurde. Er bietet ihr an, die nächste Wache zu übernehmen.
»Das ist nicht nötig, Greg. Meine Leute machen das schon.«
»Die sind alle krank. Morgen müssen Sie zurückfahren. Wenn Ihre Männer sich nicht ausruhen, werden sie Ihnen keine große Hilfe sein, falls Sie angegriffen werden.«
Agentin Saiko überlegt.
Gerard tut alles, um sie zu überzeugen. »Glauben Sie mir, nach allem, was heute passiert ist, finde ich sowieso keinen Schlaf. Diese Männer sehen richtig elend aus. Lassen Sie wenigstens einen von ihnen sich ein bisschen ausruhen. Ich übernehme ab zwei.«
Agentin Saiko sieht ihn dankbar an.
»Also gut. Eine Schicht. Um vier.«
Nachdem Saiko gegangen ist, steckt Gerard sich unauffällig eine Schachtel Zuckerwürfel in die Tasche. Mit ein paar Zuckerwürfeln kann er die anderen Schneemobile funktionsuntüchtig machen.
Er geht in seihen Bungalow und verfasst beim Schein seiner Taschenlampe auf Festivalbriefpapier einen Bericht, den Agentin Saiko dem Präsidenten mitnehmen kann. Er wird ihn zusammen mit Samuelsons Brief unter seinem Kopfkissen verstecken, wo mit Sicherheit beides gefunden wird.
»Sehr geehrter Mr President«, schreibt er. »Ich bedaure sehr, dass ich mich nicht persönlich mit Ihnen treffen kann. Ich hoffe, Sie haben Verständnis …«
21. KAPITEL
11. Dezember. 44 Tage nach dem Ausbruch.
Bisher ist Washington von den heftigen Stürmen verschont geblieben, die in den Rockies und im Nordosten wüten. Jetzt nähert sich der Schneesturm von Westen her, eine langsam vorrückende Front, in der warme, feuchte Luftmassen vom Golf von Mexiko auf arktische Luftströmungen aus dem Norden stoßen. In Virginia erfrieren Menschen in ihren Häusern. Die Stromversorgung ist zusammengebrochen. Bäume werden vom Sturm einfach abgeknickt.
Vor dem schwarzen Montag hätten solche Wetterbedingungen bei den Behörden zur Diskussion über die Bereitstellung finanzieller Mittel und die Mobilisierung von Einsatzkräften geführt. Inzwischen steht weder das eine noch das andere zur Verfügung.
Um 6 Uhr trudelt in der Hauptstadt eine einzelne Schneeflocke träge auf einen Mann zu, der darauf wartet, die Militärsperre an der Calvert Street Bridge passieren zu dürfen. Es ist ein trüber, feuchter Morgen. Die Flocke landet auf der schwarzen Wollmütze von »Pastor« Bartholomew Young.
»Ganz schön mutig, sich in Zone C hineinzuwagen, Pastor«, sagt ein junger Soldat mit einem Brooklyn-Akzent, während er Bartholomews Kragen beäugt.
»Die Menschen leiden. Was soll ich machen?«
Der Soldat lässt den Geistlichen passieren und schaut ihm noch eine Weile nach, wie er die Connecticut Avenue hinaufgeht. Der Mann trägt die einzige Uniform, die in der Öffentlichkeit überhaupt noch respektiert wird. Ein Soldat, der allein durch die Straßen ginge, würde angegriffen und seiner Waffen beraubt werden. Ein einzelner Polizist würde ebenfalls nicht weit kommen.
Aber Geistliche mit ihren schwarzen Mützen und Hüten sind unantastbar, zumindest vorerst noch. Rabbis, Priester, Pfarrer, Imame. Sie gehen von Minikatastrophe zu Minikatastrophe, verabreichen letzte Ölungen, nehmen die Beichte ab, überwachen die Feuer zur Desinfizierung. In Parks brennen Scheiterhaufen, und in dazu bestimmten Gebäuden „werden Särge zusammengehämmert. Die Toten können erst wieder beerdigt werden, wenn der Boden taut. Geistliche murmeln Psalmen, um diejenigen zu trösten, die Ehemänner, Ehefrauen, Kinder oder Geliebte betrauern.
Pastor Young allerdings hat heute etwas anderes vor, und unterwegs geht er seinen Plan noch einmal in allen Einzelheiten durch.
»Man hat meine Kirche niedergebrannt.«
Inzwischen schneit es etwas mehr. Das Frühwarnsystem des Sturms ist hübsch anzusehen. Schnee fällt in ausgebrannte Dachstühle und sammelt sich auf Müllhaufen. Eine gebeugte Gestalt zerrt eine sich heftig wehrende Frau – eine Prostituierte, wenn sie nachts unterwegs war – durch die eingeschlagene Haustür in ein verlassenes Wohnhaus.
Pastor Young versetzt sich in die angemessene Stimmung: benommen, entsetzt.
»Diese Männer haben meine Kirche in Brand gesteckt.«
Der Wind trägt ihm ungewohnte Gerüche entgegen. Brennende Möbel und Autoreifen, von Brandstiftern mit kontaminiertem Benzin besprüht und angezündet. Verfaulendes Fleisch. Und immer mischt sich in die Gerüche etwas, was an lange Vergessenes erinnert. Zitrusduft, Vanille,
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