Black Monday
wo der Schneesturm wütet, »werden da draußen sein.«
»Als Junge war ich ganz wild auf Science-Fiction-Filme«, sagt Rekrut Duane Pettigout.
Der Schlitten fährt die Connecticut Avenue hinauf, überquert um 18 Uhr 30 die Calvert Street Bridge. Gerard hört die Pferde schnaufen. Bei jedem Schritt müssen sie die Hufe aus dem tiefen Schnee ziehen.
»Aber in den Filmen haben die das immer falsch dargestellt«, sagt Pettigout.
Mit steifgefrorenen Fingern tippt Gerard Nummern in sein Handy ein. Immer wieder versucht er, Raines zu erreichen. Oder jemanden in der Marion Street.
»Die Viren in den Filmen haben immer Menschen getötet …«
Die Soldaten haben sich so postiert, dass sie die Umgebung im Auge behalten können, während Gerard und die Kinder auf dem Boden des Schlittens sitzen, damit man sie von weitem nicht sieht.
»In den Filmen hatten die Überlebenden jede Menge zu essen und Autos mit vollen Tanks. Aber Delta-3 hat nicht die Menschen, sondern die Ölvorräte vernichtet, und jetzt müssen wir alle um das kämpfen, was noch übrig ist.«
Als sie am Zoo vorbeifahren, verlangsamt der Schlitten das Tempo. Gerard hat gehofft, dass die Soldaten noch hier sein würden, aber sie sind abgezogen, und der Schnee hat ihre Spuren längst verwischt.
Pettigout sagt: »Sie haben ihn bestimmt geschnappt, Sir. Oder erschossen.«
»Fahren Sie schneller, Kutscher.«
Vielleicht funktioniert inzwischen kein einziges Telefon mehr, denkt Gerard, vielleicht gibt es nirgendwo mehr ein Netz. Vielleicht gibt es ab heute Nacht überhaupt keinen Strom mehr. Unsere Maschinen sind nur noch nutzloser Schrott. Unsere technischen Wunderwerke werden nur noch als geflüsterte Geschichten aus der Vergangenheit überleben. Unsere Größe wird für die verhungernden Kinder nur noch ein Lied aus der Erinnerung sein. Wir haben unsere Abhängigkeit vom Öl so lange geleugnet, bis sie sich ihre Maske abgerissen hat, und dann war es zu spät.
Die Pferde rackern sich ab, um den Schlitten den Hügel hochzuziehen, vorbei an der Feuerwehr. Der dicht fallende Schnee lässt alle Gebäude geisterhaft erscheinen. Mal gibt es Strom, dann fällt er wieder aus, ein Stroboskop-Effekt in Zeitlupe. Gerard kommt es vor, als wäre er nicht Wochen, sondern Jahre von zu Hause fort gewesen. Kein Mensch ist draußen unterwegs. Heute Nacht treiben sich die Plünderer hauptsächlich in den Zonen A und B herum, denn in Zone C gibt es längst nichts mehr zu holen.
Gerard kann es kaum fassen, als sie vor der St.-Paul's-Kirche halten. Die bogenförmigen Eingangsportale erscheinen wie durch einen Tunnel aus Schnee. Sein Blick wandert am hohen Glockenturm hinauf. Von dort oben wird er noch einmal versuchen zu telefonieren.
Ob Marisa hier ist?
Er nimmt die Kinder mit hinein. Auf den ersten Blick erkennt er, dass die Zustände sich während seiner Abwesenheit verschlechtert haben. In den Gesichtern, die sich ihm zuwenden, liegt keine Spur von Neugier, sie wirken eher wie Totenschädel. Es ist keine Orgelmusik zu hören. Niemand vertreibt sich die Zeit mit Brett- oder Kartenspielen. Der Gestank ist überwältigend.
»Marisa ist nach Hause gegangen«, sagt Chris Van Horne, der gerade einer Schwangeren, die fürchterlich hustet, die fiebrige Stirn trocknet.
Gerard steigt die Wendeltreppe zum Glockenturm hoch. Zumindest ist die Kirche geheizt. Oben angekommen, hält er das Handy wie eine Wünschelrute in das Schneetreiben hinaus und drückt zum hundertsten Mal die Wahlwiederholungstaste.
Diesmal hört er das Freizeichen.
Einmal … zweimal …
Verdammt. Endlich komme ich durch, und prompt bist du nicht da.
Er probiert es mit Raines' Nummer und kommt ebenfalls durch.
Gerard berichtet, was er in Youngs Wohnung gefunden hat, und erklärt, dass er den Laptop, die CDs und die Zahnbürste in der Marion Street aufbewahren wird, solange der Schneesturm anhält. Aber er würde Raines gern ein Foto von der Titelseite des Buchs schicken, ob das möglich ist?
»Machen Sie nur. Wir haben hier zwar nichts mehr zu beißen, aber reichlich Spitzentechnologie.«
»Überprüfen Sie den Verlag, das Erscheinungsjahr und die Widmung. Auf der Innenseite des Deckels befindet sich ein mit Bleistift gezeichnetes Symbol, das Markenzeichen des Verkäufers, wie ich hoffe. Das Buch stammt aus England, der Preis hinten drin ist in Pfund angegeben. Ich glaube nicht, dass es zufällig in der Wohnung lag. Ich glaube, unser Möchtegern-Lawrence trägt es die ganze Zeit mit sich
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