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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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Lalique-Vase, die mein Vater meiner Mutter zum Hochzeitstag geschenkt hatte, damit sie nicht merkten, dass ich sie kaputt gemacht hatte, dann log ich meine Mutter deswegen an und sah, wie ihr Gesicht vor Enttäuschung matt wurde. Dann kehrte ich zurück zur letzten Nacht und lag in Will Hughes’ Armen auf Governors Island. Ich schäme mich nicht dafür , rief eine Stimme – meine eigene? – leise aus.
    In einem nervenzerreißenden Augenblick der Erkenntnis begriff ich, dass diese schwache, aus weiter Ferne erklingende Stimme die meines gegenwärtigen Ichs war. Das Feuer hatte mich so völlig in der Vergangenheit abgeschottet, dass ich mir alle Mühe geben musste, dieses aktuelle Bewusstsein überhaupt noch wahrzunehmen; es war, als hörte man ein schwaches, knisterndes Radiosignal in einer stürmischen Winternacht. Verzweifelt bemühte ich mich, diese Stimme nicht entgleiten zu lassen, aber sie kam nur sehr gelegentlich durch. Ich hielt daran fest wie Melusine an ihrer zerfließenden Form, voll Angst vor der Vergessenheit, die dahinter lag.
    Das Feuer lachte nur und drängte voran. Ich fühlte, wie es suchte, wie es mein Gehirn nach Dingen abtastete, die es gebrauchen konnte. Ich war vierzehn und knutschte
mit einem Jungen, den ich gar nicht wirklich mochte, dann zwanzig, als ich an der Kasse im Supermarkt ausrastete, dann sechzehn, als ich im Heck eines Leihwagens saß und mir wünschte, meine Mutter sei tot …
    Das Feuer umkreiste diese Stelle und stürzte sich dann darauf.
    Nein!, schrie die schwache Stimme in meinem Kopf. Ich habe nie gewollt, dass meine Mutter wirklich stirbt! Erleichtert stellte ich fest, dass das Feuer sich wieder von dem Auto entfernte und nun die Erinnerungen an meine Mutter durchging – an ihre Hand auf meinem Rücken, die mir beim Schaukeln Schwung gab, an ihr Gesicht, als ich in der Schule einen Preis erhielt, an ihre Miene, als ich sie wegen der Vase anlog, an ihre Augen im Rückspiegel, als ich schmollend auf dem Rücksitz saß.
    Aaah, säuselte das Feuer mit befriedigtem Seufzen. Seine Gedanken hörte ich aus derselben statischen Entfernung wie meine eigenen, konnte sie aber klar unterscheiden. Und wieder hierher zurück. Wir sind immer hier, nicht wahr?
    Es hatte Recht. Wir fuhren von Providence zurück nach Hause, ich saß auf dem Rücksitz, sah dem Schnee zu, der wie Nebel vor den Fenstern trieb, und hasste meine Mutter … und ja, ich wünschte, sie wäre tot. Ich wusste, dass ich letztlich tun würde, was sie wollte, andernfalls würde ich mich dafür hassen. Dazu liebte ich sie zu sehr. Solange sie lebte, würde ich niemals frei sein.
    Das ist nicht dasselbe, wie ihr den Tod zu wünschen , rief meine gegenwärtige Stimme, die über dem Wischen der Scheibenwischerblätter und dem Dröhnen des Gebläses kaum zu hören war.

    »Der Nebel wird richtig dick«, sagte meine Mutter. »Ich glaube, ich fahre an der nächsten Ausfahrt raus.«
    Ich antwortete nicht. Meine Mutter würde schon tun, was am sichersten war, was richtig war. Das tat sie immer. Sie wusste, was getan werden musste. Solange sie lebte, würde ich stets eher ihren Wünschen nachgeben, als sie zu enttäuschen.
    Ein Ford Expedition überholte uns.
    Sag ihr, sie soll jetzt ausweichen , schrie mein gegenwärtiges Ich, aber die Sechzehnjährige drehte nur ihren Walkman lauter.
    Als der Ford gegen uns prallte, versuchte ich mich verzweifelt aus dieser Erinnerung herauszuwinden – mir klarzumachen, dass es nur eine Erinnerung war -, aber ich steckte ebenso in dem schleudernden Metallkäfig fest, wie ich in meinem sechzehnjährigen Körper gefangen war; das kleine bisschen Extra-Bewusstsein, das in Ddraiks Höhle aufflackerte, machte alles nur noch schlimmer. Ich wusste, das Feuer würde diesen Augenblick umkreisen, bis es ein Loch in mein Hirn gebrannt hatte. Jetzt schon fühlte ich, wie sich diese Erinnerung wie ein Großbrand ausbreitete, alle anderen Erinnerungen ergriff und sie zu Asche verglühen ließ. Was spielte es noch für eine Rolle, ob ich meine Mutter liebte? Ich hatte mir ihren Tod herbeigewünscht, und sie war gestorben. Das war die Wahrheit im Innersten meiner Seele. Hier würde ich die Ewigkeit verbringen.
    »Garet, hörst du mich? Bist du okay?«
    Es war meine Mutter, die auf dem Vordersitz eingeklemmt nach mir rief. Mein sechzehnjähriges Ich antwortete, mir sei nichts passiert. Mein sechsundzwanzigjähriges Ich brüllte, dass es mir beschissen ging. Meine Mutter
wird sterben, und du wirst den Rest

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