Black Swan - Silberner Fluch
auch die Nebelschwaden uns die Sicht, doch schließlich konnten wir ein halbes Dutzend Polizisten ausmachen, die zwei gut gekleidete Männer umringten; die beiden hatten sich, ihren blutigen Gesichtern nach zu urteilen, eine heftige Schlägerei geliefert. Die Beamten legten ihnen Handschellen an, aber der größere der beiden bedachte sein Gegenüber immer noch mit unflätigen Ausdrücken. Der Aktenkoffer des Kleineren war auf den Bürgersteig gefallen und aufgesprungen, und der Wind fasste in die Papiere und trieb sie über die Straße. Wie mir auffiel, war sein Gesicht nicht nur mit Blut, sondern auch mit Tränen verschmiert. Erst wollte ich dem Mann mit seinen herumfliegenden Papieren helfen, aber als ich einen Schritt auf ihn zu machte, verstärkte die Polizei mit weiteren Männern den Ring um die beiden Streithähne.
Oberon und ich drängten uns durch die Menge, und dabei hörte ich, wie eine blasse, schlanke Frau in einer roten Steppjacke zu ihrer Begleiterin sagte: »Das ist heute wirklich ein ganz verrückter Tag, Angelique. Als ich heute Morgen in Queens zur U-Bahn ging, habe ich eine ganz ähnliche Auseinandersetzung mitbekommen. Das waren auch ganz normale Geschäftsleute. Und Chris rief am Nachmittag bei mir auf der Arbeit an – er hat ja frei – und
sagte, in unserer Straße wäre in zwei verschiedenen Häusern ein großes Feuer ausgebrochen. Was ist das nur für ein schrecklicher Zufall – seit zehn Jahren hat es in unserer Straße nicht gebrannt! Beide Brände wurden wohl gelöscht, aber ich finde das trotzdem unheimlich. Vielleicht liegt irgendetwas in der Luft?«
»In der Karibik nennen wir das den ›Voodoo-Wind‹«, antwortete Angelique mit leiser, aber dennoch mitfühlender Stimme. »Er soll wirklich sehr unheimlich sein, aber ich habe ihn bis heute noch nie selbst erlebt.«
»Zwietracht«, murmelte Oberon unterdrückt. »Ein manchmal etwas launischer, aber immer höchst zerstörerischer Dämon.« Er sah zu den Nebelbänken hinüber, die der Wind allmählich auflöste. Aber immer noch wanden sich einzelne Fetzen wie Schlangen um Laternenpfähle und Bäume. Im Osten wurde der Himmel langsam grau. »Angelique wird wohl nicht mehr lange warten müssen«, brummte Oberon und nahm kurz meine Hand, als wir weitergingen.
Zu Hause bat ich Oberon, im ersten Stock auf mich zu warten, während ich etwas aus meinem Studio holte. Als ich zurückkam, saß er auf dem Sofa und schnupperte an den leeren Weingläsern.
»Alraunenwurzel und Nieswurz«, stellte er fest. »Diese Zusammenstellung verursacht Schwermut und macht denjenigen, der sie konsumiert, empfänglich für Einflüsterungen.«
Ich setzte mich neben ihn, schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher an und suchte die Aufzeichnung, die Jay und Becky für mich gemacht hatten. Dann zeigte ich
Oberon den Schluss, als Robert Osborne wieder ins Bild kam und drückte auf Pause. »Da«, sagte ich und deutete auf das Porträt von Madame Dufay. »Mir war so, als ob ich die Augen dieser Frau schon einmal gesehen hatte, aber in Wirklichkeit war mir bisher nur eines untergekommen.« Damit öffnete ich die Hand und zeigte Oberon die Liebaugenbrosche.
Er sprang auf und warf dabei eines der Weingläser um. »Wo hast du das Ding her?«, rief er. »Deck es zu!«
Schnell schloss ich wieder die Hand. »Ich habe es in Dees Laden mitgenommen. Wieso hast du so viel Angst davor?«
»Dee kann dadurch sehen.« Oberon rückte näher an den Fernseher und beugte sich ein wenig vor, um das Porträt genau in Augenschein zu nehmen. »Ja, du hast wahrscheinlich Recht, und das Auge passt zu denen auf dem Bild. Sie gehören zusammen. Das Bild und die Miniatur wurden mit einem Zauber belegt, so dass man, wenn man durch die Augen des Bildes sieht, genau dasselbe erblickt wie das Liebauge – das funktioniert wie eine Art Kameraüberwachung. Ich erinnere mich sogar, wann dieses Porträt angefertigt wurde.«
»Wirklich? Kanntest du sie? Sie sieht so traurig aus.«
»Madame Dufay? Ja, sie hatte gute Gründe, traurig zu sein. Ich bin ihr in Paris begegnet, kurz bevor die Schreckensherrschaft während der Französischen Revolution begann. Das war eine Zeit, in der Zwietracht und Verzweiflung richtig von der Kette gelassen worden waren. Madame Dufay lebte als junge Frau am Hofe Ludwigs XVI. Dort verliebte sie sich in einen Mann von zweifelhaftem Ruf und geheimnisvoller Herkunft. Er gab
bei einem Maler dieses Porträt von ihr in Auftrag, aber sie wusste, dass er es nicht
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