Black Swan - Silberner Fluch
dass Sie mir das Leben gerettet haben«, erwiderte ich, »als dieses … dieses Ding …« Nun sah ich zu der Stelle, wo der Körper des Mantikors gelegen hatte, doch dort befand sich nur noch ein kleiner Haufen Marmorschutt.
»Luft und Dunst«, sagte Hughes, nahm einige Bröckchen auf und ließ sie durch die Finger rinnen. »Dee hat den Nebel geschickt, um diesem Ding Leben einzuhauchen. Ich sah, wie der Nebel aufkam, als Sie gingen, aber ich musste bis nach Einbruch der Dämmerung warten, bevor ich meine Wohnung verlassen konnte.« Er verzog das Gesicht. »Allerdings wäre ich noch schneller hier gewesen, hätte ich mich nicht mit dem Handlanger herumschlagen müssen, den Dee ausgesandt hatte.«
»Ein Mann in einem roten Sweatshirt?«
Hughes nickte. »Sie haben ihn gesehen?«
»Er ist mir von der anderen Seite des Parks hierher gefolgt. Ist er …? Haben Sie …?«
»Er lebt. Wenn er wieder aufwacht, wird er sich an nichts mehr erinnern können. Er war nur halb verwunschen. Offenbar hatte Dee es eilig gehabt. Er hatte dem Mann wohl lediglich den Gedanken eingegeben, Ihnen zu folgen.«
»Können Sie Gedanken lesen?«, wollte ich wissen und
fragte mich insgeheim, ob mich noch irgendetwas überraschen würde.
»Nur die der Menschen, deren Blut ich trinke.« Ich hob die Hand zu der Wunde an meinem Hals, und er lächelte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Von Ihnen habe ich nichts weiter gespürt als Ihre Angst vor dem Mantikor und die Trauer über den Tod Ihres Freundes. Es tut mir leid, dass ich ihn nicht mehr retten konnte.«
»Er hieß Dr. Tolbert. Edgar Tolbert. Er war ein Freund meiner Mutter.« Vor meinen Augen erschien in schmerzvoller Erinnerung das Bild des Bibliothekars, seiner vor Entsetzen verzerrten Züge, und dann sah ich zu dem hoch aufragenden Gemäuer der Cloisters auf. »Wir müssen der Polizei erzählen, was geschehen ist, damit man seine Leiche bergen kann …« Beim Aufstehen merkte ich, wie schwach meine Arme und Beine noch waren, auch wenn ich sie wieder fühlen konnte, und mir wurde schwindlig. Als ich taumelte, war Hughes, der zuvor beinahe zwei Meter entfernt stand, plötzlich an meiner Seite und hielt mich fest.
»Das können wir nicht«, sagte er. Seine Stimme schien durch meinen Kopf zu hallen, ihn auszufüllen, jeden anderen Gedanken auszutreiben. »Sie können nichts mehr für ihn tun. Wenn Sie jetzt zur Polizei gehen, dann stellen Sie sich noch mehr Hürden in den Weg, die es Ihnen in den nächsten Tagen schwermachen werden, und glauben Sie mir, Sie haben es schon schwer genug.«
Damit führte er mich von den Cloisters weg über den Rasen, den Arm fest um meine Schultern gelegt, während seine Stimme sanft und eindringlich in mein Ohr sprach. Wieder spürte ich diesen Sog, ähnlich wie in dem Augenblick,
da sein Mund an meinem Hals gelegen hatte … Wir hatten schon den Rasen überquert, der die Cloisters von den Bäumen trennte, und erreichten einen von Büschen gesäumten Weg. Wie hatten wir uns so schnell von dem Gebäude entfernen können? Er tat irgendetwas, um mich seinem Willen zu beugen, und übte irgendeine Form von Macht aus.
»Halt!«, rief ich und blieb unter Mühen stehen. »Hören Sie auf mit dem, was Sie da tun … mit dem Sie mich zwingen …«
Will Hughes wandte mir den Kopf zu. Er war so nahe, dass ich eine blaue Ader an seiner Schläfe pochen sehen konnte … aber wie war das möglich? War ein Vampir nicht tot ? Aber dann verstand ich. Es war mein Blut, das durch seine Adern rann. Fast wurden meine Knie wieder weich, aber sein Arm stützte mich.
»Nun gut«, sagte er. »Aber wenn ich Sie nicht zwinge, dann beugen Sie sich bitte der Vernunft. Wir müssen verschwinden. Wie wollten Sie denn das, was geschehen ist, der Polizei erklären?«
Er wartete auf meine Antwort. Noch immer spürte ich den Sog, der von ihm ausging, aber der Drang, ihm zu Willen zu sein, hatte nachgelassen. Offenbar gab er die Macht, die er noch bis eben ausgeübt hatte, nun auf, damit ich über diese Sache sprechen konnte. Verdammt anständig für einen Vampir , sagte die coolere Stimme in meinem Kopf. Es war nun an mir, meine Argumente vorzubringen.
»Die Polizei wird ohnehin herausbekommen, dass ich dort war. Es wird einen schlechten Eindruck machen, dass ich mich vom Schauplatz des Verbrechens entfernt habe«,
sagte ich und zwang mich, ruhig und rational zu klingen. »Der Museumswärter hat mich doch hereinkommen sehen.«
»Da drinnen ist niemand mehr am Leben«, sagte er und hielt
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