Black Swan - Silberner Fluch
das er einmal erfahren durfte. Aber du solltest uns nicht an jenen messen, mit denen wir scheiterten. Wir haben auch die Shakespeares und die Beethovens, die Tolstois und Brontës, Picassos und Einsteins gefördert. Es liegt nicht immer an uns. Manchmal sind die Menschen zerbrechlicher, als wir ahnen … manchmal auch zu gierig. Manchmal lösen sie sich von uns und suchen sich einen dunklen Begleiter.« Er sah bedeutungsvoll zu meinem Hals. »Wir sind nicht die Einzigen in diesem Spiel.«
Er wandte sich wieder um und ging mir voran, bis wir einen kreisrunden Raum mit hoher Decke erreichten, in dessen Mitte ein großer, runder Eichentisch schimmerte.
Über ihm hing ein Kronleuchter, der aus verdrehten Zweigen gefertigt war, auf denen Hunderte von Lichtfunken blitzten. Mehr als zwei Dutzend Stühle umgaben den Tisch, aber nur zwei Leute – wenn man sie so nennen wollte – saßen dort: Fen und der in Regenbogenlumpen gekleidete Bettler, den ich am Bahnhof an der 190th Street gesehen hatte. Nun, da er seine Trappermütze abgenommen hatte, sah ich seine spitzen Ohren. Als er lächelte, wurden seine spitzen Zähne sichtbar.
»Schön, dich im Mondlicht zu treffen«, rief er, als wir eintraten. »Willkommen, Tochter des Wachtturms, schöne Marguerite. Es ist uns eine Ehre, dass du uns mit deiner Anwesenheit erfreust.«
»Es ist mir ein Vergnügen, deine Bekanntschaft zu machen«, sagte ich, seine Verbeugung erwidernd, und setzte mich auf den Stuhl, den er für mich zurechtgerückt hatte. » Zum zweiten Mal . Hätte ich gewusst, wer du bist, hätte ich etwas in deinen Becher geworfen.«
Oberon runzelte die Stirn. »Bist du schon wieder als Bettler herumgezogen? Ich bezahle dich doch wohl gut genug?«
»Es geht mir nicht ums Geld, Herr, sondern nur um den Spaß. Wenn ich einen müden Reisenden erheitere, der daraufhin seine Sorgen vergisst, dann wärmt mich sein Licht bis in die Zehen.« Er hob die Füße und wackelte mit ihnen. Beinahe hätte ich spitze Pantoffeln erwartet, aber er trug rote Air Jordans von Nike.
»Und war es reiner Zufall, dass du Garet begegnet bist?«
Fen antwortete für ihn: »Ich habe ihm gesagt, sie würde aus dem Fort-Tryon-Park kommen. Allerdings habe ich nicht erwähnt, wer mir das erzählt hatte.«
»Das stimmt«, nickte Puck. »Bis vor ein paar Augenblicken wusste ich nicht, dass unsere Fenodoree Umgang mit dem Vampir pflegt. Aber du darfst nicht zu hart über sie urteilen. Vergiss nicht, er war unser Freund, bevor er einer der Dunklen wurde – und ein Geliebter unserer Marguerite.«
»Sie bat mich, ein Auge auf ihn zu halten«, sagte Fen.
»Und so habt ihr euch von ihm jahrelang als Spione missbrauchen lassen?«, brüllte Oberon, dessen Schatten, den das Licht des Kronleuchters auf die geschwungene Wand warf, zu wachsen schien. Mir fiel auf, dass an den Rändern des runden Raums weitere Schatten sichtbar waren. Schatten, deren Ursprung ich nicht sehen konnte.
»Nicht als Spionin!«, beteuerte Fen. »Als eine Art Aufpasserin. Eine Beobachterin. Und jemand, der ihn daran erinnert, was er einst einmal war. Er nimmt nur dann ein Leben, wenn es unvermeidlich ist, und er führt auch nicht jene, von denen er trinkt, der dunklen Seite zu. Tatsächlich sind sie anschließend oft glücklicher als vor der Begegnung mit ihm.«
Ich dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, als Will Hughes mein Blut getrunken hatte – wie mir jetzt noch zumute war, wenn ich an ihn dachte – und wandte mich vom Tisch ab, damit niemand mein Erröten sah. Die Schatten, die den Tisch umgaben, schienen sich enger zusammenzuziehen.
»Das ist ja wirklich sehr freundlich von ihm. Ich muss unbedingt daran denken, ihn als Vampir des Jahres vorzuschlagen. Vermutlich hast du ihm erzählt, dass der Wachtturm wieder aufgetaucht ist?«
»Nein! Er meldete sich heute Morgen bei mir, kurz
nach der Dämmerung, und er sagte, sie verließe nun den Park. Dann bat er mich darum, jemanden zu schicken, der auf sie achtgibt, und ich fragte daraufhin Puck. Und du siehst, ihr ist nichts geschehen.«
Ich fürchtete, Oberon würde mir den Schal vom Hals reißen und die Spuren der Fangzähne enthüllen, aber er tat es nicht. Er seufzte nur und ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Was vergangen ist, ist vergangen«, sagte er. »Wir müssen nun entscheiden, was in der Zukunft geschehen soll. Dee hat die Dämonen der Zwietracht und Verzweiflung heraufbeschworen.«
»Jetzt schon?«, fragte Fen. »Ich dachte, wir hätten nach dem Öffnen
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