Black Swan - Silberner Fluch
begegnet bin … Jahrzehnte …« Sie warf den Teig auf ein
bemehltes Brett und knetete kraftvoll weiter. »… wenn nicht Jahrhunderte.«
»Wann genau hast du ihn zuletzt gesehen?«, fragte Oberon.
Sie sah auf. Ihre runden Brillengläser spiegelten das grüne Licht, das von dem König der Elfen ausging. »Letzte Woche«, antwortete sie dann kleinlaut. »Ich traf ihn zufällig bei einem Vortrag im Kulturzentrum 92nd Street Y.«
»Um welches Thema ging es denn?«, fragte Oberon.
»Die Geheimnisse der Wissenschaft«, plapperte Fen und hob trotzig das Kinn, als bewiese die Tatsache, dass sie sich an den genauen Titel der Veranstaltung erinnern konnte, dass ihr Treffen mit Will Hughes völlig zufällig gewesen war. »Nanotechnologie im 21. Jahrhundert.«
Oberon neigte den Kopf und sah sie skeptisch an.
»Zu diesen wissenschaftlichen Vorträgen gehen vor allem Männer«, setzte sie hinzu und klang jetzt eher verteidigend. »Versuch du mal, einen netten Single in New York kennenzulernen! Davon abgesehen war es recht interessant. Diese kleinen Atome haben mich doch sehr an die ferrishyn erinnert.«
»Und Will Hughes geht ins 92nd Street Y?«
»Vielleicht wusste er, dass ich dort sein würde«, antwortete sie sehr leise.
»Wie lange triffst du dich schon mit ihm?«
Bevor Fen antworten konnte, ertönte eine Klingel im Raum dahinter. »Das ist mein Biskuit«, sagte sie und hastete durch die Tür.
»Komm«, sagte Oberon zu mir und hob die Platte, die über dem Durchgang zum hinteren Tresenbereich lag. »Sie ist zur Erde hinabgestiegen.«
»Zur Erde hinabgestiegen?«, wiederholte ich. »Was …?« Aber er war bereits in der Küche, einem winzigen Raum, der von einem riesigen, gusseisernen Ofen beherrscht wurde. Ein gelber Biskuitboden ruhte auf einem Kuchengitter und dampfte noch, doch von Fen keine Spur. Oberon sah sich in der kleinen Küche um – fast erwartete ich, er würde auch noch in den Ofen schauen. Aber stattdessen zog er eine kleine Binsenmatte beiseite, und darunter kam eine runde Klappe mit einem Bronzegriff zum Vorschein. Er hob die Falltür, und sie gab den Blick auf die obersten Stufen einer Wendeltreppe frei, die in die Dunkelheit hinabreichte. »Komm«, sagte er.
»Da hinunter?«, krächzte ich, und Angst schwang in meiner Stimme mit, als ich in das dunkle Loch sah. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte ich mich gegen ein Fabeltier verteidigt und war an der Seite eines Vampirs durch einen Park voller Elfen gewandelt, aber ich wollte auf keinen Fall in irgendein dunkles Loch hinabsteigen, das unter die Straßen von New York führte. Was mochten dort für Alpträume aus dem Reich der modernen Legenden auf uns warten – Albinokrokodile, gigantische Rattenvölker, mutierte Küchenschaben … die Möglichkeiten waren endlos. Nein, ich hatte genug. Jetzt war der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr mitmachen wollte. »Ich warte hier oben«, sagte ich. »Mir ist es dort zu dunkel.«
Anstelle einer Antwort schnippte er mit den Fingern, und auf der Spitze seines Daumens erschien eine kleine gelbgrüne Flamme. »Na schön«, sagte er, »eigentlich kannst du genauso gut jetzt mit den Übungen anfangen. Du arbeitest doch mit Feuer, da sollte es dir nicht so schwerfallen, es herbeizurufen. Halte die Hand auf –
die Fläche nach innen gerichtet …« Er drehte meine Hand, bis ihre Fläche etwa zehn Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war. »Und jetzt konzentriere dich auf deine Aura.«
Schon zuvor auf der Straße war mir das silberne Glimmen aufgefallen, das meine Hand umgab, aber da hatte ich ja auch an Will Hughes gedacht. Nun machte ich mir ein wenig Sorgen darüber, welche Farbe meine Aura haben würde, wenn ich nicht an ihn dachte. In letzter Zeit hatte ich eine Menge mitgemacht. Im Krankenhaus war ich mit meinen Überlegungen über Maias Bezahlung einfach so herausgeplatzt, ohne über Romans Verfassung nachzudenken, was für mich völlig untypisch war …
»Konzentriere dich!« Oberons dröhnende Stimme erstickte die neuerliche Selbstmitleidsattacke im Keim. Ich starrte meine Hand an und befreite meinen Geist von allem, was nicht mit meiner aktuellen Aufgabe zusammenhing: meine Aura zu sehen. Nach ein paar Sekunden waren meine Hände von einem bläulich-weißen Glimmen umrandet, das an meinen Fingerspitzen auslief und sich in der Luft wie ein flatterndes Banner verlor.
»Ich sehe sie!«
»Gut.« In Oberons Stimme klang jetzt wieder die weiche Melodie der karibischen Inseln an, und ich
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