Blackmail: Thriller (German Edition)
Informationsgeflecht der Highschool eingeklinkt ist, weiß sie möglicherweise Dinge, die ich oder die Polizei auch dann nicht herausfinden, wenn wir ein Jahr lang herumlaufen und Fragen stellen.
Annie blickt vom leuchtenden Display ihres Gameboys auf und betrachtet mich mit ernster Miene. »Daddy, alle fragen mich immer wieder, warum ich dieses Jahr nicht beim Festspiel mitgemacht habe. Warum darf ich es ihnen nicht sagen?«
Ich atme tief durch und seufze. Das Confederate Pageant war in den vergangenen siebzig Jahren der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Natchez. Üppig ausstaffiert mitReifröcken, Säbeln und Rebellen ist dieses Zelebrieren des Vorbürgerkriegslebens im tiefen Süden eine der politisch unkorrektesten Veranstaltungen in den gesamten Vereinigten Staaten. Und doch bleibt es eine Institution, an der die Kinder der meisten wohlhabenden Familien in der Stadt noch immer teilnehmen – in Samt gekleidete Kleinkinder, die um einen Maibaum tanzen, sauber herausgeputzte Highschool-Kids, die mit perplexen Touristen Walzer tanzen oder betrunkene Collegestudenten, die im März dreimal in der Woche nach Hause trampen, um sich mit Konföderierten-Insignien zu schmücken und als Mitglieder des »Confederate Court« zum »Dixie« zu marschieren. Die Bitte, an den Festspielen teilzunehmen, gilt als Kennzeichen gesellschaftlicher Bedeutung – basierend hauptsächlich auf der Mitgliedschaft der Großmütter oder Mütter in einem der mächtigen »Garden Clubs« –, und bestimmte Rollen verleihen ihren Darstellern den Status eines Stars.
Annie hat bereits wichtige Rollen beim Festspiel bekleidet, und dieses Jahr wurde ihr ein Platz beim Big Maypole angeboten, einem der Bühnenbilder mit Rollen für Viertklässler. Meine Mutter war glücklich darüber, doch ich hatte gemischte Gefühle. Mutter glaubt, Annie wird mehr darunter leiden, wenn sie nicht zusammen mit ihren Freundinnen am Festspiel teilnimmt, als durch die Mitwirkung bei einer rassistisch fragwürdigen Aufführung, deren Subtilitäten sie nicht einmal ansatzweise zu verstehen imstande ist. »Schließlich hat es dir auch nicht geschadet«, lautete Mutters Argument. »Du warst beim Festspiel dabei, seit du vier Jahre alt warst, bis zu deinem zwanzigsten Lebensjahr, und du bist so liberal, wie man es sich nur vorstellen kann.« Ich musste lachen, doch Annie bewies ihr, dass sie sich irrte. Eine Neunjährige mit schwarzen Freundinnen ist durchaus imstande, die Problematik zu begreifen, und als ich Annie erklärte, worum es ging, bat sie mich, die Rolle für sie abzulehnen, was ich denn auch tat. Ich bat sie allerdings auch, in der Schule kein großes Aufhebens davon zu machen,weil so viele andere Kinder aus ihrer Klasse am Festspiel teilnehmen würden.
»Ich meine«, sagt Annie in diesem Augenblick, »welchen Sinn hat es, etwas nicht zu tun, wenn man den Leuten nicht einmal sagt, warum man es nicht tut?«
Wie üblich klingt sie fünf Jahre älter, als sie in Wirklichkeit ist, und wie üblich hat sie außerdem recht. Wenn man versuchen will, die Dinge dadurch zu ändern, dass man sich als Vorbild verhält, muss man die Leute auch wissen lassen, was man tut und weshalb, selbst wenn man erst neun Jahre alt ist.
»Du hast recht, mein kleiner Kürbis. Erzähl allen, warum du nicht mitmachst. Aber du solltest mit heftigen Reaktionen rechnen, vielleicht sogar von Seiten deiner Lehrer. Die Dinge ändern sich hier in unserer Gegend nur langsam.«
Sie nickt ernsthaft. »Ich werde nachdenken, bevor ich darüber rede.«
Ich wünschte, manche Erwachsene, die ich kenne, würden das ebenfalls. »Braves Mädchen.«
»Dad?«, fragt sie mit plötzlich besorgter Stimme.
»Ja?«
»Timmys Mom kam heute in die Schule und hat ihn früher abgeholt.«
Erneut füllen Bilder von Ellen Elliott meine Gedanken. »Hat jemand gesagt warum?«
»Nein. Aber ich hab ein paar Lehrer und Lehrerinnen im Flur reden hören. Sie haben gesagt, Dr. Drew hätte eine Schlägerei gehabt oder so, und er hätte etwas Böses getan.«
Verdammte Schwätzer. »Haben sie gesagt, was er getan hat?«
»Nein. Aber eine Lehrerin hat einen schlimmes Wort gebraucht.«
»Welche Lehrerin?«
»Mrs Gillette.«
Eine verschrobene alte Kuh. Ich nehme mir im Stillen vor, Mrs Gillette genauer im Auge zu behalten. »Dr. Drew hatnichts getan, weswegen ihr Kinder euch Sorgen machen müsstet. Du musst nicht auf Erwachsene hören, die dummes Zeugs schwatzen, okay?«
»Ich weiß. Ich wollte es dir auch nur
Weitere Kostenlose Bücher