Blackmail: Thriller (German Edition)
weiten sich, als würde sie auf gute Nachrichten hoffen, obwohl sie schlechte erwartet.
Ich streichle ihren Kopf. »Mia braucht noch viel Zeit, bevor sie sich binden kann, Baby. Sie muss noch aufs College und herausfinden, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Genau wie du in ungefähr zehn Jahren.«
»Neun Jahre«, sagt Annie. »In neun Jahren werde ich achtzehn. Ich dachte nur, Mia wäre eine coole Mama, weißt du?«
»Da hast du wohl recht.« Ich beuge mich zur Seite und drücke sie an mich, sodass sie die Tränen nicht sehen kann, die in meinen Augen aufsteigen. Meine Tochter braucht dringend eine Mutterfigur, und ich habe darin versagt, ihr eine zu geben. In diesem Augenblick – und zum ersten Mal – bin ich wütend auf Caitlin, weil sie so viel Zeit in Boston verbringt. Ich glaube nicht, dass sie zu mir oder zu sich selbst ehrlich war, als sie ihren letzten »vorübergehenden« Auftrag angenommen hat.
»Ich muss zu Opa in die Praxis, Schatz. Es wird eine Weile dauern. Ich versuche, Mia anzurufen, damit sie auf dich aufpasst, okay?«
»Okay«, sagt Annie mit gelangweilter Stimme, als wäre Mia überhaupt nichts Aufregendes.
Ich nehme mein Handy hervor und wähle Mias Nummer.
19
D as Büro meines Vaters in der Praxis ist eine kleine Bibliothek der Medizin und der Militärgeschichte. Maßstabgetreue Modelle von Panzern und Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg stehen neben Schiffen aus der napoleonischen Epoche, und handbemalte Zinnsoldaten bewachen jedes Bücherregal im Raum. Mein Vater ist eins fünfundachtzig groß mit weißem Haar, silbernem Bart und durchbohrenden Augen, die fast jede Todesart für Körper und Geist gesehen haben. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und blickt mich fragend an.
»Wie hält sich Drew?«, will er wissen.
»Schwer zu sagen.«
»Hat dieser Drogendealer, von dem in der Zeitung steht, Kate Townsend ermordet?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du machst keinen besonders zuversichtlichen Eindruck. Was ist deine schlimmste Befürchtung, Penn?«
Ich schließe die Augen, und als ich spreche, kommt die Wahrheit hervor, als hätte sie es selbst beschlossen. »Dass Drew Kate getötet haben könnte, ohne es zu wollen. Das Mädchen war extrem sinnlich, trotz ihrer Jugend, und sie liebte es, beim Sex gewürgt zu werden. Sie starb durch Strangulation. Man muss kein Sherlock Holmes sein, um die mögliche Verbindung zu erkennen.«
»Aber Drew streitet alles in dieser Richtung ab?«
»Genau.«
Dads Telefon summt, und Esther meldet sich. Sie sagt, dass Quentin Avery gekommen ist und sie ihn nach hinten bringt.
»Wo ist Annie jetzt?«, fragt Dad.
»Ich hab sie Mia anvertraut, damit sie Annie nach Hause bringt. Ich wusste nicht, wie lange wir brauchen.«
Dad blickt an mir vorbei und erhebt sich hinter seinem Schreibtisch, als die Bürotür sich öffnet. In seinen Augen istein erfreutes Glitzern. »Da ist Quentin! Kommen Sie herein, Mann!«
Ich drehe mich zur Tür um. Wenn ich jemandem begegne, den ich nur auf Bildern oder im Fernsehen gesehen habe, stelle ich oft fest, dass die betreffende Person in Wirklichkeit viel kleiner ist. Das ist bei Quentin Avery nicht der Fall. Der berühmte Anwalt mag über siebzig sein, doch er besitzt immer noch die charismatische Ausstrahlung eines Mannes, der einst stolz im Licht der nationalen Öffentlichkeit gestanden hat. Trotz der Amputation bewegt er sich hoch aufgerichtet. Er ist sicher eins neunzig groß und trägt das weiße Haar in einem kurz geschnittenen Afro-Stil. Seine Augen besitzen einen grünlichen Stich, und seine Haut ist heller als die der meisten Schwarzen in Natchez, auch wenn sie dunkler ist als die von Shad Johnson, der so hell ist, dass viele Leute ihn als »mehr weiß als schwarz« bezeichnen. Doch Averys Äußeres ist letztendlich ohne jede Bedeutung. Dieser Mann, der jetzt im Büro meines Vaters steht, hat zahllose Fälle vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten verhandelt und gewonnen. Er hat Präsidenten in Fragen des Zivilrechts beraten, besonders John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. Er hat weiße Rassisten und Konzerne überall im Land das Fürchten gelehrt. Er hat Todesstrafenrecht an der Yale Law School unterrichtet. Er hat das amerikanische Präzedenzrecht grundlegend geändert und dadurch etwas erreicht, das wenigen von uns je gelingen wird: Er hat die Welt verändert.
»Mein Freund wird sich ein wenig verspäten«, sagt Avery anstelle einer Begrüßung. »Bitte entschuldigen Sie, Gentlemen.«
Ich
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