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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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den Eindruck der Nacktheit zu verwischen, aber das Ganze sah doch noch ziemlich streng aus.
    Towle war der einzige Bewohner des Hauses, und sein Name stand in Goldbuchstaben an der gläsernen Haustür. Der Parkplatz war ein Depot für Geländewagen mit Seitenfronten aus Holz. Wir parkten neben einem blauen Lincoln, dessen hintere Stoßstange den Aufkleber EIN HERZ FÜR KINDER trug, und ich nahm an, daß das der Wagen des Doktors sein mußte. Im Inneren des Hauses sah es allerdings ganz anders aus. Es war, als ob irgendein Innenarchitekt die Strenge des Äußeren hätte ausgleichen wollen, indem er das Wartezimmer weich wie Brei gestaltete. Die Sitzmöbel waren aus Ahornholz mit abgesteppten und mit Knöpfen versehenen Polstern. Die Wände waren bedeckt mit Petitpointgestickten und gerahmten Bibelszenen und zuckersüßen Drucken kleiner Jungen beim Fischen und kleiner Mädchen vor dem Spiegel, in Mammis Hüten, Kleidern und Schuhen. Das Zimmer war voll von Kindern und besorgt dreinschauenden Müttern. Zeitschriften, Bilderbücher und Spielsachen lagen auf dem Boden. Es roch nach vollgemachten Windeln. Sollte das wirklich Towles ruhigere Zeit sein, dann wollte ich nicht da sein, wenn hier Betrieb herrschte.
    Als wir hineinkamen, zwei kinderlose Wesen männlichen Geschlechts, starrten uns die Frauen an. Wir waren uns zuvor schon einig geworden, daß Towle vermutlich lieber unter vier Augen, sozusagen von Doktor zu Doktor, mit mir sprechen würde, deshalb quetschte sich Milo auf einen freien Stuhl zwischen zwei Fünfjährigen, und ich ging zum Schiebefenster des Empfangs. Das Mädchen auf der anderen Seite war ein hübsches junges Ding mit Farah Fawcett-Haar und einem Gesicht, das fast so attraktiv wie das ihres Vorbilds war. Sie trug ein knappsitzendes, weißes Kleid, und ihr Namensschild verriet, daß sie ›Sandi‹ hieß.
    »Hallo. Ich bin Doktor Delaware. Ich habe einen Termin bei Doktor Towle.«
    Als Antwort erhielt ich ein Lächeln, gekrönt von vielen schönen, weißen Zähnen.
    »Termine bedeuten heute nachmittag nicht viel. Aber kommen Sie herein. Ich nehme an, er kommt gleich zu Ihnen.« Ich ging durch die Tür, und die Blicke aus mehreren mütterlichen Augenpaaren bohrten sich mir in den Rücken. Ich vermutete, daß einige von den Patienten schon über eine Stunde warteten, und fragte mich, warum Towle keinen Assistenten engagierte.
    Sandi führte mich in das Büro des Doktors, einen etwa zwanzig Quadratmeter großen, dunkel getäfelten Raum. »Es ist wegen der kleinen Quinn, nicht wahr?«
    »Stimmt.«
    »Dann hole ich das Behandlungsblatt.« Sie kam zurück mit einem Aktenordner und legte ihn auf Towles Schreibtisch. Auf dem Umschlag war ein roter Reiter. Sandi sah, daß ich mich dafür interessierte.
    »Die Roten sind die Hyper. Wir haben einen Farbcode eingeführt. Gelb für chronisch Erkrankte. Blau für Sonderberatungen.«
    »Sehr praktisch.«
    »Ach, Sie haben ja keine Ahnung!« Sandi kicherte und stemmte eine Hand in die gut geformte Hüfte. »Wissen Sie«, sagte sie, beugte sich etwas näher zu mir her und ließ mich ihr Parfüm schnuppern, »unter uns gesagt, das arme Kind hat es nicht leicht, mit einer solchen Mutter aufwachsen zu müssen.«
    »Ich verstehe, was Sie meinen.« Dazu nickte ich, ohne zu wissen, was sie meinte, aber in der Hoffnung, sie würde es mir noch sagen. Das tun die Leute meistens, wenn sie merken, daß man sich nicht allzu sehr dafür interessiert. »Ich meine, sie ist wirklich so ein oberflächlicher, unkonzentrierter Mensch - die Mutter. Immer, wenn sie herkommt, vergißt oder verliert sie etwas. Einmal war es ihre Handtasche, ein andermal hat sie die Schlüssel im Wagen gelassen. Sie hat sie wirklich nicht alle beisammen.« Ich stieß ein paar verständnisvolle Töne aus. »Sicher, sie hat es nicht leicht gehabt bei der Arbeit auf dem Feld, und dann dieser Kerl, den sie geheiratet hat und der im Gefängnis -«
    »Sandi.«
    Wir drehten uns beide um und sahen eine kleine Frau um die Sechzig, das Haar wie einen eisengrauen Helm geschnitten, in der Tür stehen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Die Brille hing ihr an einer Kette um den Hals. Auch sie war ganz in Weiß gekleidet, aber bei ihr sah es wie eine Uniform aus. Und auf ihrem Namensschild stand der Name Edna. Ich sah auf den ersten Blick, daß sie die rechte Hand des Doktors war. Vermutlich arbeitete sie bei ihm, seit er sein Schild draußen angeschraubt hatte, und verdiente ungefähr ebenso viel Geld wie

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