Blackout - Kein Entrinnen
Automatisch hob ich die Hand, um meine Augen zu schützen, denn der Teil meines Gehirns, der die Reflexe steuerte, reagierte, bevor ich mir bewusst machen konnte, dass meine Netzhaut nicht brannte. Langsam zwang ich mich, die Hand wieder herunterzunehmen, hob den Kopf und sah blinzelnd ins Licht.
Sonnenlicht. Es war Sonnenlicht. Ich roch grüne Pflanzen, die bittere Schärfe von Tomatenpflanzen, die angenehme Süße von Gras. Zögerlich tastete ich mich vor, meine Beine trugen mich fast ohne die Beteiligung meines übrigen Körpers. Hinter mir folgten die Wachleute, doch in einigem Abstand. Sie ließen mir ein paar Meter Raum, während ich aus der sterilen Seuchenschutzbehörde ins Grüne trat.
Ich war nie auf frische Luft versessen gewesen. Shaun behauptete immer, dass ich mein Zimmer nur verließ, um ihn anzuschreien, wenn er irgendeinen riskanten Blödsinn anstellte. Das stimmt nicht ganz, aber es war auch nicht ganz falsch. Und durch diese Tür zu gehen war beinahe so, als beträte ich das Paradies.
Ich war nicht wirklich draußen. Ein flüchtiger Blick nach oben reichte aus, um mir zu bestätigen, dass ich mich in einem kleinen Biodom befand, unter einer Kuppel aus Stahl und kugelsicherem Glas, die mich davor bewahrte, einen natürlichen Luftzug abzubekommen. Es war nur ein Schwindel. Ein großer grüner Schwindel, angefüllt mit Blumenrabatten und Gemüsebeeten und einem Rasen, der noch größer war als unser Garten in Berkeley. Doch das kümmerte mich nicht. In diesem Augenblick war der Schwindel so gut, wie es der tatsächliche freie Himmel gewesen wäre, denn ich stand im Grünen und es flatterten sorglose Schmetterlinge – Schmetterlinge – um mich her. Als gäbe es überall auf der Welt, wo etwas Grünes wuchs, auch Schmetterlinge.
»Was ist das?«, fragte ich, indem ich mich zu Dr. Thomas umwandte. Mir brannten die Augen. Dieses seltsame Kribbeln, das ich inzwischen als ein Zeichen von Tränen erkannte. Ich widerstand dem Verlangen, sie wegzuwischen. Es war noch keinen Monat her, seit ich weinen konnte, aber ich verabscheute es bereits.
»Die Kollegen, die mit Ihrer Pflege betraut sind, waren der Meinung, etwas frische Luft würde Ihnen guttun.« Wieder hatte Dr. Thomas dieses väterliche Lächeln. Ich brauchte nicht länger gegen das Bedürfnis anzukämpfen, mir die Tränen wegzuwischen, sondern konzentrierte mich stattdessen darauf, ihm keine Ohrfeige zu geben. »Willkommen im Biodom sechs-achtzehn.«
In einem der Apfelbäume zu meiner Linken krächzte etwas. Ich sah gerade noch rechtzeitig hinüber, um einen Blick auf ein schwarzes Flattern zu erhaschen, bei dem es sich wahrscheinlich um eine Krähe handelte, die zu einem Baum aufgeflogen war, neben dem keine lästigen Menschen standen. Diese Ablenkung gab mir die Zeit, die ich brauchte, um zu Atem zu kommen und meine Tränen zurückzuhalten. Mit staunend aufgerissenen Augen wandte ich mich zu Dr. Thomas um.
»Sie wollen damit sagen, dass das schon die ganze Zeit hier ist?«, fragte ich.
Sein Lächeln wurde breiter. Arschloch. »Dies ist eine der größeren Einrichtungen der Seuchenschutzbehörde. Dieses Biotop erlaubt es uns, einen Teil unserer Vorräte selbst anzubauen, und Studien haben gezeigt, dass Aufenthalte in Grünanlagen bei der Genesung von psychischen Traumata förderlich sind.«
»Wow, das ist mir ja ganz neu.« Mit der letzten Bemerkung hatte ich vielleicht etwas zu dick aufgetragen, aber ich war zu abgelenkt, um mir darüber einen Kopf zu machen. Ich bemühte mich, mir alles ins Gedächtnis zu rufen, was ich über die Einrichtungen der Seuchenschutzbehörde im nördlichen Teil der USA wusste.
»Ich dachte, das wäre eine angenehme Überraschung für Sie.«
Schön, wie er sich darin sonnte, nachdem klar war, dass ich beim Betreten des Gartens nicht durchdrehte. »Es ist fantastisch«, sagte ich und versuchte, möglichst viel Bewunderung in meinen Ton zu packen.
Anscheinend war es mir gelungen, denn Dr. Thomas schwieg. Mit zufriedenem Lächeln beobachtete er, wie ich scheinbar die Wunder einsog, die der Seuchenschutz vorbereitet hatte, um mich zu beeindrucken. Und beeindruckt war ich auch. Beeindruckt darüber, wie viel von Mahirs Artikelserie über die verschiedenen Einrichtungen der Seuchenschutzbehörde bei der Übertragung meines Gedächtnisses hängen geblieben war. Er hatte sie in Regionen unterteilt und ihre hervorstechenden Besonderheiten aufgelistet, wie zum Beispiel Hubschrauberlandeplätze, private Landebahnen …
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