Blackout
und – wenn ich einen guten Tag habe – hauche ihnen Leben ein.«
»Sie schreiben also Dinge, die Sie nicht glauben?«
»Ich versuche, meinen Figuren ihre eigenen Meinungen ausdrücken zu lassen.«
»Nur damit Sie ein paar Schundromane mehr in den Supermärkten absetzen?«
»Und in den Flughäfen. Genau.«
Sie lächelte. Einfach nur zwei gute Freunde, die sich ein bisschen kabbeln. »Wie steht es denn mit dieser Zeile: ›Ich glaube ganz tief drin in meinem schwarzen Herzen, dass, wenn Schicksal und Leidenschaft im richtigen Moment in der richtigen Konstellation zusammentreffen, jeder von uns – vom Prediger bis zu der alten Dame mit den bläulich getönten Haaren an der Bushaltestelle – zu einem Mord fähig ist.‹«
Sie trat nah an mich heran. »Ist das Ihre Meinung oder nur der Standpunkt einer Ihrer Figuren?«
Totenstille. In der Luft lag dieses elektrisierende Gefühl, als wäre, wie man so schön sagt, im Grunde alles auf diesen einen Punkt hinausgelaufen.
Ich antwortete: »Ich glaube, dass jeder Mensch zu allem fähig ist.«
Meine Anwälte krümmten sich auf eine Art, die unter anderen Umständen wirklich lustig hätte sein können, und Harrimans Augen leuchteten vor Aufregung richtig auf.
»Sie glauben also in diesem Moment, in dem Sie angeblich geistig völlig klar sind, dass Sie durchaus fähig sein könnten, diese unaussprechliche Tat zu verüben, derer Sie für schuldig befunden worden sind?«
»Fähig, ja«, und an dieser Stelle musste ich meine Stimme heben, um sie zu übertönen, denn sie versuchte schon wieder, mich zu unterbrechen, »und zwar genauso wie Sie.«
»Nur dass Geneviève, soviel ich weiß, eben nicht mit
mir
Schluss gemacht hat.« Harriman nickte, als der Richter sie zurechtwies, und hob eine Hand zu einem
mea culpa.
Geschichten, so schlecht sie auch sein mögen, sind das Lebenselixier von L.A. Ich hätte wetten können, dass Katherine Harriman, wie jede andere Staatsanwältin, die mir jemals in Dolby-Surround-Abstand zu den Filmstudios begegnet war, auch schon einmal als Beraterin für ein einstündiges Fernsehdrama hinzugezogen worden war. Oder sie hatte einen Schriftsteller wie mich, der ihr hinterherlief, um sie mit seinen Fragen zu belästigen. Den Mann einer Cousine vielleicht, der ein paar Minuten am Telefon brauchte, um dem dritten Akt seines Drehbuchs den richtigen Pfiff zu verleihen. Oftmals war ich dieser Typ gewesen, der verlegen das Zeter und Mordio des Justizsystems von Angelino belauschte. Ich hatte mit Polizisten zu tun gehabt, die mittlerweile zu viele Polizisten im Fernsehen gesehen hatten, so dass sie sich schon genauso verhielten wie die Polizisten, die sie im Fernsehen gesehen hatten, die eigentlich ihre Berater, die echten Polizisten, nachahmten. Erzählung und Verbrechen – eine sich windende Schlange mit einer Geschichte im Maul.
Ich war’s nicht. Ich hab mich nur um meinen eigenen Kram gekümmert, und dann
…
Wenige Stunden später, als ich gebannt Katherine Harrimans Abschlussplädoyer lauschte, dämmerte mir erst, was für eine begnadete Geschichtenerzählerin sie war. Und dies – so behauptete sie – war meine Geschichte:
In der Nacht des dreiundzwanzigsten September um 1 Uhr 08 hatte mich das Läuten des Telefons geweckt, und ich war aus dem Bett geschlüpft, während April weiterschlief. Als ich Geneviève Bertrands Nachricht auf meinem Anrufbeantworter abgehört hatte, hatten sich mein ganzer Groll und meine Bitterkeit zu einem Plan materialisiert. Ich war zu ihrem Haus gefahren, das in einem Canyon bei Coldwater lag. Ich hatte den Schlüssel unter dem Blumentopf mit dem Philodendron auf der Veranda hervorgeholt und hatte das Haus betreten. Ich war links in die Küche gegangen, wo ich mir das Filetiermesser aus dem Eichenholzblock holte. Ich war die Treppen zu Genevièves Schlafzimmer hinaufgegangen. Sie war von meinen Schritten aufgewacht und mir auf halbem Wege auf ihrem weißen Teppich entgegengekommen. Dort hatte ich ihr die Klinge durch den Solarplexus gerammt und das Messer nach oben gestoßen, an ihren Rippen vorbei und direkt ins Herz. Sie war mehr oder weniger auf der Stelle gestorben. Hinterher hatte ich ihren Körper im Morgenmantel in den Armen gehalten wie eine Katze, die mit einer verletzten Maus spielt. Als krönenden Abschluss, aus Panik über das Verbrechen, das ich gerade begangen hatte, hatte ich einen geistigen Zusammenbruch erlitten, einen komplexen Anfall, der sich bei der Ankunft der Polizei und der
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