Blankes Entsetzen
die sich meldete – sehr schroff, wahrscheinlich Patston –, brachte Novak aus dem Gleichgewicht. »Entschuldigung«, sagte er schnell. »Ich hab mich wohl verwählt.«
»Dann pass gefälligst besser auf«, sagte der Mann am anderen Ende und hängte ein.
Novak entfernte sich ein Stück von der Telefonzelle, zog sein Handy aus der Jacke, wählte Allbeurys Privatnummer und berichtete es ihm.
»Hoffentlich ist er nur spät dran«, sagte er. »Vielleicht hat er einen Kater.«
»Daran müsste er doch gewöhnt sein«, bemerkte Allbeury.
»Vielleicht hat er verschlafen«, sagte Novak. »Oder er hat die Grippe.«
»Vermutungen helfen mir im Augenblick auch nicht weiter«, erwiderte Allbeury.
»Ich glaube nicht, dass es klug wäre, jetzt noch einmal anzurufen. Möchtest du, dass ich mal vorbeifahre?«
»Ja. Sobald du kannst«, sagte Allbeury. »Ich will diese Sache nicht länger als nötig auf Eis liegen haben.«
49.
Um fünf vor neun drehte eine Radfahrerin namens Phyllis Eder ihre Morgenrunden durch den Epping Forest. Ihr friedfertiger Springerspaniel Dirk lief an einer langen Leine neben dem Fahrrad her. Sie genoss die Schönheit und den Geruch des herbstlichen Waldes, als der Hund plötzlich unerwartet losstürmte und so fest an der Leine zerrte, dass Phyllis ins Schleudern geriet, gegen eine Eiche prallte und vom Fahrrad fiel.
»Dirk!«
Nach ein, zwei Sekunden war sie sicher, sich nicht ernsthaft wehgetan zu haben. Mit wackligen Beinen stand sie auf, strich sich Blätter und Schmutz vom Trainingsanzug und beobachtete ihren Hund, der immer noch an der Leine war, laut bellte und mit wedelndem Schwanz an irgendetwas scharrte.
»Dirk!«, rief sie wieder. »Hör auf damit und komm her.«
Er beachtete sie nicht, sondern bellte immer weiter und kratzte an etwas, das wie ein kleiner, laubbedeckter Hügel aussah.
Phyllis bückte sich, um ihr Fahrrad aufzuheben, und ging zu dem kleinen Hügel, um selbst einen Blick darauf zu werfen.
»Was ist das, Dirk?«
Der Spaniel hörte auf zu scharren und schaute erwartungsvoll zu ihr auf.
Phyllis Eder beugte sich ein Stück hinunter – und erstarrte.
Es war kein Hügel.
Es war der halb von Erde und Zweigen bedeckte Körper einer Frau.
50.
»Es geht ihm viel besser.«
Das waren die ersten Worte, die Lizzie hörte, als sie um Viertel nach neun aufwachte – viel später, als sie eigentlich hatte aufstehen wollen. Christopher hatte die Worte ausgesprochen, und ganz kurz kam ihr der Gedanke, dass er nicht angeklopft hatte, wie er es dieser Tage normalerweise tat.
Aber das war jetzt egal.
Sie stieg aus dem Bett, zog ihren Bademantel über und musterte Christopher, der bereits vollständig angezogen, in Anzug und Schlips, vor ihr stand. »Keine Temperatur mehr?«
»Nur ein kleines bisschen«, sagte er.
»Sie könnte wieder steigen«, meinte Lizzie.
»Oder sinken.« Er lächelte sie an. »Er ist auf dem Weg der Besserung, Lizzie.«
Eine riesige Woge der Erleichterung durchflutete sie, sodass sie sich für einen Augenblick schwach fühlte und sich auf den Bettrand setzen musste. »Entschuldige«, sagte sie.
»Ich habe mich genauso gefühlt wie du«, sagte Christopher leise.
Lizzie schaute hinauf in sein Gesicht. »So ist es immer, nicht wahr?«
»So wird es auch immer sein«, sagte er.
So lange dieses Immer dauern mag, dachte sie und wusste, dass sie es nicht auszusprechen brauchte. Sie würden sich immer wieder so fühlen, jedes Mal, wenn Jack krank wurde und sich dann wieder erholte: Es war immer dasselbe gewaltige Gewicht, das sich für einen Moment hob und dann, fast augenblicklich, wieder heruntersank. Es war eine beinahe abergläubische Angst, die bei jeder Krise, die Jack durchlebte, so geringfügig sie auch sein mochte, größer zu werden schien. Jede Genesung kam einem kleinen Wunder gleich, für das sie alle unendlich dankbar waren. Doch mit jedem Mal, wenn sie Angst hatten, rutschten sie ein Stückchen näher an den Abgrund.
»Alle Kinder haben gefrühstückt«, sagte Christopher.
»Großartig«, sagte Lizzie. »Danke.«
»Es war mir ein Vergnügen.« Er lächelte wieder. »Edward und Sophie haben wieder Appetit, und sogar Jack hat einen Pfannkuchen verdrückt.«
»Meine Güte«, sagte Lizzie. »Pfannkuchen.«
»Auf besonderen Wunsch von Edward«, erklärte Christopher. »Ich konnte schlecht Nein sagen.«
»Ahornsirup?«
»Was sonst?«
Lizzie stand auf. Plötzlich war sie selbst hungrig. »Sind noch Pfannkuchen übrig?«
»Ich hab dir ein paar
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