Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
gynäkologischen Abteilung des barockesken St. Martin’s Hospital, sitzt der zweiundzwanzigjährige George Bush am Bett seiner haltlos weinenden Frau Barbara und weiß noch nichts von seiner späteren USA-Präsidentschaft. Er weiß nur, dass mit diesem seltsam überdicken Junior George W., der ihn vor grad zwei Minuten zum stolzen Vater machte, irgendwas nicht stimmt.
»Bitte, Ma’am«, beteuert der Arzt, und George Bush hört es wie aus weiter Ferne, »da ist wirklich keiner mehr drin!« Und wie aus weiter Ferne hört er’s fassungslose Schluchzen seiner Frau:
»Aber es waren doch Zwillinge! Wir hatten doch beide noch vor drei Tagen …«
»Ich weiß.« Wieder der Arzt. »Wir hatten beide auf dem Ultraschall. Aber beim heiligen Ölberg, gnä’ Frau ist leer.«
»Das geht doch gar nicht! Und aua, verdammt noch mal, Herr Doktor, er beißt!«
»Neinnein, das sind butterweiche Kauleisten«, erklärt die Koryphäe und greift dem Säugling lächelnd in den Mund. »Zähne kommen erst mit acht, neun Mona – aua! Schwester! Schwester!!«
George Bush weiß nun genug. Mit einem Griff reißt er das Baby von der Mutter, legt es auf den Wickeltisch und spricht, während er es untersucht, vor Angst und Ekel zitternd mit: »Vier Hauer unten, sechs oben. Unter der Zunge eine … eine halbe … ogottogott. Eine Fingerkuppe. Gewicht: 8,5 Kilo. – Barbara?«
»Georgiehasi?«
»Vergiss das mit dem Zwilling.«
Vier lange Jahre überlegen wohl die Eltern, den kleinen George W. wegen Charakterschwäche zur Adoption freizugeben; vier zu lange Jahre, in denen das Kind Liebe gebraucht hätte, nicht Vorwürfe, die dem Kleinen unbegreiflich bleiben mussten. Was hatte er denn getan? Er hatte, strafunmündig wie er war, den Mitfötus verspeist, als unabwendbar schien, dass dieser schneller in die Steißlage geraten und somit Erstgeborener würde. Just in dieser Minute, so wird er später seiner Frau offenbaren, »hab’ ich das Arschloch dann gefressen«.
Bis zu jener ersten und einzigen Ehe sind es noch einunddreißig Jahre, als Doubleyou im Sommer 1959 in die örtliche Krabbelgruppe aufgenommen wird. Sie ist, nicht zuletzt auf Betreiben seines Vaters und späteren texanischen Gouverneurs, die landweit erste integrative Einrichtung, in der geistig gesunde Kinder den Kontakt mit Andersdenkenden einüben können. Und so erfährt auch der Zwölfjährige erstmals den Reiz gesunder Babies. So stumm wie erregt hockt der frühpubertierende Republikaner auf dem PVC und zupft an seiner Windel, während die Krabbler ihn gurrend umkurven und – ja, leider auch das: hänseln. »Gagaga!«, rufen sie sich fröhlich zu, wenn sie ihn mal wieder umgeschubst haben, ihn, der sich nicht wieder aufzurichten vermag, »gaga hagng!« Und Doubleyou, der noch nicht sprechen kann, versteht sie nur zu gut.
Ein roter Plastiklöffel ist es, der die zweijährige Nancy dann am 4. Oktober 1959 aus der Bahn wirft. Laut Autopsie bohrte sich der Stiel zwischen den beiden Herzkammern hindurch in den linken Lungenflügel, anders als beim anderthalbjährigen Tom, hinter dessen rechtem Auge man kurz darauf den Kühler eines Matchbox-Autos findet. Der Rest des chromglänzenden Cadillac steckt im Kleinhirn. Nicht wenige Eltern verlangen, das allzu impulsive Bushbaby aus der Gruppe zu entfernen, scheitern aber an dessen einflussreichem Vater, der im Zweiten Weltkrieg als Marineflieger zu Ehren kam, als Verfechter der Todesstrafe zu Ruhm und beides mit Ölmillionen vergoldet. Während einer turbulenten Tupperparty einigt man sich schließlich auf eine Sonderförderung des kleinen Rackers: George W. bekommt seinen stählernen Sitzkäfig, muss aber ganztags CNN gucken.
Es hilft. Mit Ausnahme des frechen Kevin, der seinen naseweisen Rotschopf im Käfig lässt, überstehen die verbliebenen Krabbelkinder ihre Zeit mit Doubleyou, der im Mai 1990 in den Kindergarten wechselt. Er ist nun vierundvierzig, läuft und spricht fast flüssig, und zur Feier seines Waffenscheins schenkt ihm sein Vater, seit zwei Jahren Präsident der USA und strahlender Sieger im Golfkrieg, einen Gutschein auf den texanischen Gouverneursposten samt täuschend echt nachgebauter Spielfarm mit richtigem Traktor, lebendigen Hunden, Küchennegern und Ehefrau.
Von dieser schmächtigen Dame, ihr Mann nennt sie Laura, ist wenig bekannt. Sosehr es ihr wohl Spaß macht, mit ihrem »kleinen Scheißer«, wie sie den Gatten liebevoll zum Wickeln ruft, gemeinsam Eichhörnchen zu fangen, die er dann mit
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