Blau wie das Glück: Roman (German Edition)
und ich war eifersüchtig. Eben natürliche Rivalität unter Geschwistern.« Sie schob die Hände in die Taschen ihres Mantels und spielte mir der Plastikflasche mit Weihwasser, die sie eingesteckt hatte, bevor sie aus dem Haus gegangen waren. »Er war damals sechs – sechseinhalb. Mein Vater hatte mit ihm gearbeitet. Einfaches Rangeln, ein bisschen Kampfsport und Waffengebrauch. Damals herrschte viel Spannung bei uns zu Hause, weil die Ehe meiner Eltern gerade zerbrach.«
»Wieso?«
»Das kommt vor.« Vielleicht war ja in seiner Welt der Himmel immer rosenrot und die Liebe ewig. »Menschen werden unzufrieden, Gefühle verändern sich. Außerdem hatte meine Mutter es satt, dass mein Vater ständig mit
irgendwelchen Dämonen kämpfte. Sie wollte ein ganz normales Leben führen. Also stritt sie sich ständig mit meinem Vater, und er ignorierte sie und arbeitete stattdessen mit meinem Bruder.«
Und das bedeutete, dachte Larkin, dass sich niemand um sie gekümmert hatte. Armes, kleines Lämmchen.
»Ich war dauernd hinter meinem Vater her, damit er auch mit mir trainierte oder mir wenigstens ein bisschen von dem beibrachte, was mein Bruder lernte.«
»Mein kleiner Bruder ist mir immer wie ein Schatten gefolgt, als wir klein waren. Das ist vermutlich in allen Welten gleich.«
»Hat er dich geärgert oder gestört?«
»Ach, manchmal hat er mich schon wahnsinnig gemacht. Zu anderen Zeiten war es mir egal. Wenn er in der Nähe war, konnte ich ihn besser ärgern. Und im Großen und Ganzen war er gar nicht so übel.«
»Das war bei mir und meinem Bruder ähnlich. Und dann waren sie eines Tages im Trainingsraum – dort, wo sich bei den meisten Familien das Wohnzimmer befindet.« Aber dazu brauchte man eben auch eine Familie. »Dort wurde die Ausrüstung aufbewahrt – Gewichte, ein Turnpferd, ein Stufenbarren, Ringe. Eine ganze Wand war verspiegelt.«
Sie sah es noch ganz genau vor sich. Ihr Vater und ihr Bruder, dicht beieinander, während sie an der Seite stand. Alleine.
»Ich beobachtete sie im Spiegel; sie wussten nicht, dass ich da war. Mein Vater hielt Mick – meinem Bruder – gerade eine Strafpredigt, weil er die Übung nicht beherrschte. Salto rückwärts«, murmelte sie, »Rolle vorwärts und den Pflock mitten ins Herz. Mick bekam es einfach nicht hin, und mein Vater war entschlossen, es ihm beizubringen.
Schließlich wurde Mick wütend und warf den Pflock quer durchs Zimmer.«
Er hatte beinahe ihre Finger gestreift, erinnerte sie sich. Als ob er für ihre Hand bestimmt gewesen wäre.
»Er rollte direkt auf mich zu. Ich wusste, ich konnte es, und ich wollte es meinem Vater zeigen. Ich wollte nur, dass er mir zuschaute. Also rief ich: ›Guck mal, Daddy‹, und machte es so, wie ich es ihm abgeschaut hatte, wenn er immer wieder versucht hatte, Mick den Rhythmus beizubringen.«
Sie schloss die Augen einen Moment lang, weil das Gefühl in ihr noch so lebendig war. Als ob die Welt ein paar Sekunden lang angehalten hätte und nur sie in Bewegung gewesen wäre.
»Ich traf mitten ins Herz. Hauptsächlich war es natürlich Glück, aber ich traf das Herz. Ich war so glücklich. ›Sieh mal, was ich gemacht habe!‹, rief ich. Mick fielen fast die Augen aus dem Kopf, und dann … er lächelte ein bisschen – nur ein bisschen. Damals wusste ich nicht, was das bedeutete. Ich dachte, es hätte ihm gefallen, was ich gemacht hatte, weil wir meistens gut miteinander auskamen. Mein Vater sagte nichts, ein paar Sekunden lang – mir kamen es vor wie Stunden -, und ich dachte schon, er würde mich anschreien.«
»Weil du etwas gut gemacht hast?«
»Weil ich ihm im Weg war. Er schrie natürlich nicht wirklich. Er erhob nie seine Stimme; er war stolz darauf, alles unter Kontrolle zu haben. Ich dachte, er würde mich zu meiner Mutter schicken. Du weißt schon, mich einfach wegschicken. Aber das tat er nicht. Er sagte Mick, er solle nach oben gehen, und dann waren wir allein. Nur ich und mein Vater, und er schaute mich endlich an.«
»Er muss sehr stolz auf dich gewesen sein.«
»Himmel, nein.« Sie lachte kurz und freudlos. »Er war enttäuscht. Das sah ich, als er mich endlich anschaute. Er war enttäuscht, dass ich es war und nicht Mick. Jetzt musste er sich mit mir beschäftigen.«
»Aber sicher …« Larkin brach ab, als sie den Kopf wandte und ihn anblickte. »Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass dich sein Mangel an Umsicht verletzt hat.«
»Niemand kann aus seiner Haut.« Eine weitere Lektion, die sie
Weitere Kostenlose Bücher