Blaubeertage (German Edition)
wer ist er dann?
21.
Z wei Tage später sitze ich auf meinem Bett und starre auf Xanders Kameratasche. Ich habe die Fotos auf den Computer geladen und angefangen, an der Homepage zu arbeiten. Das alles, um mich davon abzulenken, dass ich Xander seit Samstagabend nicht mehr gesehen habe. Ich gehe im Kopf noch einmal den Abend durch. Wie er das Essen aus dem französischen Restaurant vorbeigebracht hat, wie Mason aufgekreuzt ist, wie ich zurückgewichen bin, als Xander versucht hat, meine Haare zu berühren, unseren Streit. Ich hatte ihm die ganze Zeit Hinweise gegeben, dass er mich in Ruhe lassen soll, aber anscheinend waren sie erst am Samstagabend bei ihm angekommen.
Ich stupse die Tasche mit meinem Zeh an und seufze. Zwei Tage lang habe ich hin und her überlegt, ob ich die Kamera als Vorwand benutzen soll, um ihn wiederzusehen. Die klassische »Ich wollte bloß die Kamera zurückbringen«-Masche. Es gibt dabei zwei Probleme. Erstens habe ich keine Ahnung, wo er wohnt. Zweitens habe ich seine Telefonnummer nicht. Es gibt auch zwei Lösungen für dieses Problem. Erstens könnte ich Mrs Dalton anrufen und um Xanders Nummer bitten. Zweitens könnte ich ins Road’s End fahren und hoffen, ihn dort zufällig zu treffen.
Lösung Nummer zwei macht das Rennen. In Gedanken male ich mir aus, wie er wie durch Zauberhand auftaucht, sobald ich im Hotel erscheine. Ich könnte sagen, dass ich sowieso in der Gegend war, um nicht wie ein Stalker rüberzukommen.
Es funktioniert allerdings nie so, wie ich es mir ausmale. Aber erst als ich im Schickimicki-Foyer des Hotels am Tresen stehe und mit der Empfangsdame spreche, fange ich an, mich mit dem Gedanken abzufinden, dass es so nicht ablaufen wird.
»Ich habe hier eine Kamera«, wiederhole ich.
»Und wie ich Ihnen bereits gesagt habe, werde ich dafür sorgen, dass er sie auch bekommt.«
»Können Sie mir nicht einfach sagen, wann er hier sein wird oder mir seine Adresse geben? Dann kann ich sie vorbeibringen.«
Der Blick, den sie mir zuwirft, versetzt mir einen Stich ins Herz. Der Blick sagt: Hast du irgendeine Ahnung, wie viele Mädchen schon versucht haben, an Xanders Privatadresse zu kommen? Ich weiche vor dem Blick einen Schritt zurück.
»Sie wollen sie also nicht hierlassen?«
Ich bemühe mich, ihr einen Blick zuzuwerfen, der ihr klarmacht, dass ich ihr nicht traue, und sage: »Es ist eine teure Kamera.« Mein Blick scheint ihr nicht so viel auszumachen wie ihrer mir. Und um ehrlich zu sein: Wenn ich sie wäre, würde ich mir Xanders Adresse auch nicht geben.
Ich drehe mich um und gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin; Xanders Kamera immer noch in meiner Hand. Dann also Möglichkeit Nummer eins. Ich werde Mrs Dalton anrufen und mir Xanders Telefonnummer geben lassen. Schließlich muss ich ihm die Kamera ja zurückgeben. Es ist wichtig.
Der Riemen der Kamera sitzt stramm, denn ich habe ihn mehrmals um mein Handgelenk gewickelt, damit die Kamera nicht runterfällt. Meine Finger werden immer weißer, je länger die Blutzufuhr abgeschnürt ist. Kurz bevor ich die Tür erreiche, bleibe ich stehen. Warum tue ich mir das an? Warum klammere ich mich so fest daran? So fest an ihn? So schwer kann das doch nicht sein.
Wenn das Ganze richtig wäre, würde ich meine Mom deswegen nicht anlügen. Ich würde mich deswegen nicht schuldig fühlen. Wenn es richtig wäre, wäre es einfacher.
Ich gehe mit gesenktem Kopf zurück zum Empfangstresen und lege die Kamera darauf. »Können Sie ihm die bitte zukommen lassen?«
Sie nickt und sieht aus, als wollte sie noch irgendetwas sagen – Danke vielleicht? –, aber dann klingelt das Telefon. Sie hebt ab und hat mich bereits vergessen. Ich hole tief Luft und gehe. Ich kann ihn, genau wie die Kamera, hinter mir lassen. Hier an diesem Ort, wo er hingehört.
Als ich nach Hause fahre, sehe ich überall kostümierte Kinder in den Straßen. Wie konnte ich bloß vergessen, dass heute Halloween ist? In der Innenstadt ist allerdings nicht mehr los als sonst. Nur wenige Menschen wohnen im Geschäftsviertel. Ich parke in einem Seitenweg und gehe durch die Hintertür. Der Laden ist dunkel, genau so, wie ich ihn verlassen hatte. Es ist kurz vor neun, und wenn ich an ihre Gewohnheiten in letzter Zeit denke, vermute ich, dass meine Mom schon im Bett liegt. Aber dann sehe ich sie auf dem Sofa sitzen und einen Film anschauen.
Sie blickt auf und lächelt. »Ich hatte schon gedacht, dass du vielleicht heute Abend auf eine Party gegangen bist und
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