Blaue Wunder
Bildungsverhalten und mir in Zukunft regelmäßig alle zwei Wochen nach einem Kamilledampfbad die Mitesser rausdrücken. Und das alles nur ihm zuliebe. Na und? Ist doch egal, ob ich seinetwegen abnehme oder meinetwegen. Dünn bin ich nachher in beiden Fällen, und darauf kommt es doch schließlich an. Man würde ja auch einem Serienbankräuber keine Vorwürfe machen, wenn er wegen seiner neuen, katholischen Freundin die kriminelle Karriere an den Nagel hängte.
19.10 UHR:
Hier nun eine Liste der Dinge, die ich in Zukunft tun und lassen will:
Ich werde mir jede Woche «Die Zeit» kaufen und mindesten vier Artikel darin ganz durchlesen, zwei davon aus den abschreckenden Bereichen Wissenschaft und/oder Politik.
Nach 18 Uhr werde ich nichts mehr essen. In Restaurants werde ich Salat und mageres Fleisch bestellen und auf keinen Fall Nach- tisch. Zur Tankstelle gehe ich nur noch, um «Die Zeit» (siehe Punkt 1.) und Cola light zu kaufen. Schokoriegel, Chips und Eis sind verboten. Gesund ist die Regel, ungesund die Ausnahme. So soll es ab jetzt heißen und nicht andersherum, wie in den letzten zweiunddreißig Jahren meines Lebens.
Erst wenn ich von Nietzsche «Also sprach Zarathustra» und von Musil «Der Mann ohne Eigenschaften» durchgelesen habe, darf ich mir danach zur Belohnung wieder ein Buch gönnen, auf dem ein Cottage vor der Landschaft Cornwalls abgebildet ist.
Ich werde versuchen, nicht jedes meiner Probleme in meiner Beziehung zu thematisieren. Ich möchte mich meinem neuen Lebensgefährten gegenüber als unkomplizierte, robuste, geländegängige und stimmungsstabile Partnerin positionieren. Ich neige leider dazu, jedes Zwicken im Unterleib, jeden Hauch von Halsschmerz, jede Andeutung von Magenverstimmung sofort lautstark kundzutun. Jeden Gedanken, der mich minimal belastet, spreche ich in der Regel in derselben Sekunde aus. Das will ich ändern! Ich will nicht länger als schwierig gelten. «Was für eine patente und gleichzeitig repräsentative Frau!», sollen die Leute in Zukunft über mich sagen. Ich will eine geistreiche, aber nicht grüblerische Gefährtin sein, die so perfekt für häuslichen Frieden und partnerschaftliche Harmonie sorgt, dass ihn seine Freunde beneiden werden.
4a. Zu meiner neuen Unkompliziertheit gehört natürlich auch: nicht aufregen! Größe zeigen, wenn sich der Geliebte nicht ganz so verhält, wie man sich das eigentlich wünscht. Bisher bin ich nie einer Auseinandersetzung ausgewichen und habe jeden Ärger unverzüglich rausgelassen. Das will ich nicht mehr tun. Milde, Verständnis, Langmut, Gnade: Das sind Elli Dückers’ neue, hervorstechende Eigenschaften!
Ich will mich nicht mehr so doll betrinken, dass ich den Gastgeber frage, wer eigentlich diese ganzen beknackten Leute sind und wann man endlich von dieser öden Party abhauen kann, ohne unhöflich zu wirken.
Ich will mich mehr für das Weltgeschehen interessieren und jeden Tag die «Tagesschau» gucken.
Ich werde morgen ins Museum gehen und mich ab sofort für Kunst begeistern.
20.25 UHR:
Bin frustriert. Hänge hier casual sexy in der Wohnung ab. Martin hat mir gerade abgesagt. Sein Vater will jetzt doch zur Ausstellung, und zwar zusammen mit seinem Sohn. Ob ich bitte dafür Verständnis hätte? Gerade als ich anfangen wollte loszuzicken, fiel mir zum Glück Punkt 4a ein: Milde, Verständnis, Langmut, Gnade. Zum ersten Mal hörte ich mich den Satz sagen: «Aber das ist doch überhaupt kein Problem.» An Martins Reaktion - er schlug vor, ob wir nicht nachher noch einen Spätfilm zusammen gucken wollten - bemerkte ich, dass ich einen großen Schritt gemacht hatte, was meine persönliche Entwicklung anbelangt. Bloß innerlich fühle ich mich gar nicht so milde. Selbstverständlich habe ich keinerlei Verständnis dafür, dass ich ausgeladen werde, bloß weil WC 1 sich jetzt doch bequemt zu erscheinen. Ob ich einfach hingehen soll? Als Überraschungsgast? Erdal fände das bestimmt ’ne Spitzenidee. Man muss da ein bisschen aufpassen, wenn man Erdal um Rat bittet in Beziehungsangelegenheiten. Er findet nämlich grundsätzlich immer alles richtig und gut, wovon er nachher in seinem Freundeskreis lustig erzählen kann. Er liebt Geschichten, ob die jetzt für den Betreffenden gut oder schlecht ausgehen, ist für ihn zweitrangig. Würde ich ihn fragen, ob ich so lange in Strapsen vor Martins Elternhaus auf und ab spazieren soll, bis Martin mich ihnen freiwillig vorstellt, würde Erdal das für einen genialen
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