Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Aktivitäten abzulenken. Auch heute stand Pia nicht der Sinn nach grüblerischen Betrachtungen.
Hinnerk kniff die Augen zusammen. »Hey, ist ja gut. Ich wusste nicht, dass das vermintes Gelände ist.«
»Es ist einfach kein Thema mehr für mich.«
»Das glaube ich nicht. Aber wenn du nicht darüber reden willst ...«
»Schon gut. Die Frage kam so plötzlich. Kurze Zeit habe ich tatsächlich gedacht, ich müsse alles hinschmeißen. Aber ich bin gern bei der Kripo, der Beruf ist mir wichtig. Ich wollte drei zugekoksten Mördern nicht diese Macht über mich und mein Leben zugestehen.«
»Das ist ein Argument.«
»Die Verhandlung zu diesem Fall steht mir noch bevor. Ich werde vor Gericht gegen die drei aussagen müssen. Danach ist die ganze Geschichte für mich erledigt. Inzwischen kann ich aber sogar schon wieder Seile und Haken sehen, ohne dabei eine Gänsehaut zu bekommen.«
Er nickte, seine dunklen Augen unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet.
»Wie bist du dazu gekommen, Rettungssanitäter zu werden?«
»Mehr durch Zufall, ein Freund hat mich darauf gebracht. Ich hatte nach dem Abi angefangen, Geschichte zu studieren, aber irgendwann war da die Luft raus. Es dauerte mir alles zu lange. Wahrscheinlich habe ich auch einfach erkannt, dass mein Interesse doch nicht so groß war, wie ich anfangs gedacht habe. Mittlerweile gefällt mir das, was ich mache, ganz gut. Jedenfalls habe ich abends das Gefühl, nicht umsonst angetreten zu sein. Ich bewirke etwas. Aber ab und zu sind natürlich auch Tage dabei, an denen mir das alles sehr zu schaffen macht. Besonders wenn Kinder betroffen sind, Straßenverkehrsunfälle vor allem ...«
Pia dachte an ihren ersten Fall bei der Mordkommission, den Tod der kleinen Elise Rohwer und seine Folgen. Vier weitere Menschen hatten sterben müssen.
»Wolltest du denn schon immer zur Polizei?«, riss er sie aus ihren Gedanken.
»Nein. Anfangs wusste ich überhaupt nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich war ein Jahr als Au-pair in Frankreich und danach noch ein Jahr in Spanien, Tarifa. Zum Surfen ...« Sie lächelte fast verlegen.
»Klingt doch ganz entspannt.«
»Das war es auch. Tagsüber die Sonne und das Meer, abends das Nachtleben. Ein bisschen teuer auf Dauer, und dann ... langweilig. Die Zeit verrann mir wie der sprichwörtliche Sand zwischen den Fingern.«
»Du warst doch bestimmt nicht allein dort unten?«
»Nein, wir waren zu siebt. Außerdem haben wir eine Menge obskurer Typen kennen gelernt. Gleich und gleich gesellt sich gern. Mein absoluter Favorit war der Barkeeper Paul aus England. Ihr hättet euch verstanden, er war auch Historiker. Er hatte sich ein Porträt von Maria Tudor auf seine Wade tätowieren lassen. Die Geschichte des englischen Königshauses war seine Spezialität, ebenso wie Bloody Marys.«
»Ist doch durchaus nachvollziehbar, wenn einer sich für so etwas begeistern kann.«
»Er behauptete beharrlich, ich sähe aus wie Maria Stuart, einer seiner Lieblinge, nach Maria Tudor selbstredend. Es war fast etwas makaber ... ich meine, die Frau wurde verraten und ist auf dem Schafott gestorben.«
»Ja und?«
»Es stimmt leider. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit.« Bei dem Gedanken daran, wie sie sich damals alte Bilder angesehen und diese betroffen angestarrt hatte, musste sie lächeln.
»Na, immerhin sitzt du noch quicklebendig neben mir. Wieso bist du zurück nach Deutschland gekommen?«
»Ich habe mich verliebt. In einen Polizisten. Er wusste offenbar genau, wie das Leben so läuft. Ich hatte damals so meine Zweifel. Inzwischen frage ich mich, wer von uns in Tarifa mehr Ahnung vom Leben hatte. Na egal ...«
»Und wo ist er jetzt?«
»Wenn er seine Ziele weiterhin so ehrgeizig verfolgt hat, ist er inzwischen verheiratet und sitzt in einem Eigenheim am Stadtrand von Hamburg.«
»Ist er noch bei der Polizei?«
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich vermuten, dass er inzwischen Polizeipräsident ist.«
Pia und Hinnerk waren die letzten Gäste, die die Kneipe verließen. Da Hinnerk im Laufe des Abends seine Jacke abgelegt und Pia arglos den Anblick seiner tatsächlich sehr ansehnlichen Unterarme gewährt hatte, hatte sie plötzlich Lust, ihn mit zu sich nach Hause zu nehmen.
Dann erinnerte sie sich an den Zustand ihrer Wohnung, an den Farbgeruch und die Baufolie über den zusammengeschobenen Möbeln, und so fand sie sich nach einem zehnminütigen Fußmarsch in Hinnerks Wohnung wieder.
Hinnerk Joost wohnte in einem etwas
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