Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Fingernägel schnitten ihr in die Haut ein.
»Du erinnerst mich die ganze Zeit an jemanden. Könntest ihre Tochter sein, jawohl, ihre Tochter.«
»An wen denn?«, fragte Gesa, in der Hoffnung, es so schnell hinter sich zu bringen.
»Sie hieß Doro ... die Kleine. Freches Ding, aber die Mutter taugte nicht viel.«
»Das sollten Sie mir morgen am Tag erzählen. Jetzt ist Nachtruhe!« Sie legte ihre ganze Autorität in ihre Stimme, doch er kicherte boshaft.
»Still, Mädchen. Du bist doch noch ein Mädchen. Ich mag Mädchen. Du hast auch Sommersprossen, genau wie sie.«
»Das reicht jetzt. Lassen Sie mich sofort los!«
»Und deine Haare ... rot. Wie bei ihr damals ... ist das echt?«
Mit seiner anderen Hand, der, die er kaum kontrollieren konnte, deutete er ungeschickt auf ihren Zopf, der ihr über die Schulter fiel.
Gesa drehte sich weg. »Finger weg. Natürlich ist es echt. Wer will schon wie eine Hexe aussehen? Herr Heck, lassen Sie mich sofort los!«
Gesa versuchte, mit ihrer freien Hand den Klingelknopf zu erreichen. Heck hielt sie zurück. In seiner gesunden Körperhälfte hatte er erstaunlich viel Kraft. Obwohl seine Arme beim Waschen immer aussahen wie verdorrte, ausgeblichene Wurzelstöcke, blaufleckig, die Haut schlaff und voller Erhebungen und Muttermale.
Gesa kannte jeden Quadratzentimeter seines Körpers, was ihr aber nicht die Macht über ihn gab, sondern es schien eher umgekehrt zu sein. An seinem Gesäß hatte er zum Beispiel ein hässliches blaurotes Hautmal, dass wie die Silhouette Afrikas aussah. Als sie ihn einmal darauf angesprochen hatte, schien er sich dieser Besonderheit kaum bewusst zu sein. Wie konnte einer, der so gezeichnet war, es selbst nicht wissen? Einmal hatte er, während sie ihm das Gesäß wusch, eine flüchtige Erektion bekommen und sie triumphierend angestarrt. Die Erinnerung daran war ihr unangenehm und lähmte sie.
Hecks Hand krallte sich um ihren Oberarm, und er zog sie mit dem Gewicht seines Oberkörpers zu sich heran. Sein warmer Atem streifte ihre Wange, als er ihr ins Ohr flüsterte: »Mädchen wie dich hatte ich früher zum Frühstück. Ich konnte immer, und ich hab es ihnen besorgt. Glaub mir, wenn ich nur ein paar Jahre jünger wäre, dann würdest du mich nicht so ansehen ...«
Endlich riss sich Gesa los. Der Abscheu vor seinen Worten gab ihr die Kraft, die der pure Ekel vor seiner Berührung nicht hatte auslösen können. Stillhalten, höflich sein, niemanden brüskieren, bis zum letzten Moment. Das ist es doch, was man den Mädchen einimpft, dachte sie erbittert. Diese Erkenntnis ließ endlich den schwachen Funken Unbehagen zu einer Stichflamme der Wut auflodern. »Fass mich nie, nie wieder an, Heck!«, zischte sie böse.
Ihn schien ihr Ausbruch zu amüsieren, aber er half ihr, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Sie fühlte sich beschmutzt und auch ... schuldig. Als wäre ihre Haut, ihr Haar, ihr weiblicher Körper schuld an Hecks Entgleisungen und nicht seine niederen Instinkte und sein getrübter Verstand.
Ohne ihn noch einmal anzusehen, richtete sich Gesa auf und hastete aus dem Zimmer. Sie lief den Gang hinunter und schmiss die Tür des Schwesternzimmers hinter sich zu. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie von innen abgeschlossen. Heck kann mir nicht folgen, er kann sein Bett ohne Hilfe gar nicht verlassen, versicherte sie sich schnell.
Das helle Licht und die vertraute Einrichtung des Personalraums halfen ihr, sich zu beruhigen. Sie setzte Wasser auf und schmiss einen Beutel Pfefferminztee in ihre angestoßene Tasse.
Ein Ekel, dieser Heck, ein richtiges Scheusal. Sexbesessen wahrscheinlich, rücksichtslos und grausam. Sie hatte sich nicht in ihm getäuscht, keine Sekunde lang.
Aber es gab noch so etwas wie Gerechtigkeit. Sie konnte jederzeit gehen. Schulden hin oder her, niemand konnte sie zwingen hier zu bleiben. Alfred Heck würde im Haus Waldesruh ausharren müssen, bis der Tod aus einer der dunklen Ecken ihn als den Nächsten auserkor ...
Als der Tee fertig war und Pfefferminzgeruch den kleinen Raum erfüllte, hatte sich Gesa weitestgehend beruhigt. Es war nichts passiert, nur die üblichen Beleidigungen und Obszönitäten. Hecks Fingernägel hatten halbmondförmige Abdrücke in der Haut ihres Handgelenkes hinterlassen, mehr nicht.
Sie umschloss die Tasse mit beiden Händen, obwohl der Tee noch zu heiß zum Trinken war. Mit angezogenen Füßen hockte sie auf dem Stuhl und starrte aus dem Fenster. Das Mondlicht tauchte die Rasenfläche vor dem
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