Blaulicht
Instinkt und seiner Hartnäckigkeit ergibt das einen hervorragenden Polizeibeamten und für Mattusch einen Mitarbeiter, auf den er nur schwer verzichten könnte. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen der Ironman mit seiner Art nicht anders agiert als ein Elefant im Porzellanladen, und dies scheint so ein Fall zu sein.
»Offiziell habe ich dich angefordert, um die Art der Schuldfähigkeit von Sandra Kovács zu beurteilen.« Mattusch verreibt mit der Fingerspitze einen Tropfen Mineralwasser, der auf der Schreibtischunterlage perlt.
»Und inoffiziell?«
»Wie gesagt, Kascha, das Mädchen hatte zur Tatzeit ein Zeug im Blut, das die Kollegen vom Drogendezernat schon seit Monaten auf Trab hält. Soweit wir ihren Hintergrund bisher kennen, ist sie alles andere als eine kaltblütige, berechnende Mörderin, die drei Jahre, nachdem sie die Schule abgebrochen hat, einem ihrer ehemaligen Lehrer auflauert, um ihn niederzustechen. Erinnerst du dich noch an diese Geschichte mit dem ertrunkenen Schüler vom Haßler-Gymnasium? Die ging vor rund drei Jahren durch alle Zeitungen und unzählige Internetblogs.«
»Ja, ich erinnere mich dunkel. Das war doch der Fall, wo man sich nicht darüber im Klaren war, ob es sich um einen Unfall oder um Selbstmord handelte. Hängen diese beiden Geschichten denn irgendwie zusammen?«
Helmut Mattusch atmet tief ein und zückt ein Papiertaschentuch aus der Hemdtasche, um sich damit den Schweiß von der Stirn zu tupfen.
»Das ist genau die Frage, die wir uns auch stellen. Der tote Junge im Wöhrder See war der Freund von Sandra Kovács, und der Mann, den sie vor drei Tagen niedergestochen hat, war ihr gemeinsamer Musiklehrer.«
»Aha. Eine Konstellation mit gewissem Eifersuchtspotenzial, würde ich sagen.«
»Mag sein. Nur eben ohne Eifersuchtsmord. Im übrigen ist unsere Neue damit beschäftigt, der Sache von damals noch einmal nachzuspüren.«
»Und um was für eine Droge geht es?«
»Nennt sich PepZero und ist erst seit relativ kurzer Zeit im Umlauf.«
»Was weiß man über die Wirkungen?«
»Abgesehen davon, dass bislang vier Menschen nachweislich daran gestorben sind, nicht viel. Ich sage deshalb nachweislich, weil es durchaus sein kann, dass die Dunkelziffer höher liegt, und wir gehen davon aus, dass es noch mehr Todesfälle geben könnte, denn das Zeug ist auf verschiedenen Wegen im Umlauf. Die Hauptinhaltstoffe sind, soweit ich es den Berichten aus dem Kliniklabor, aber auch unseren eigenen entnommen hab, gar nicht so ungewöhnlich für ein Amphetaminderivat.«
»Meinst du MDMA?« Kascha zieht die Augenbrauen hoch.
»Genau, so was in der Richtung wie Ecstasy, eine klassische Partydroge, mit der wir seit den 80ern unsere Probleme haben. Aber offenbar wurde dem Zeug noch so etwas wie ein Beschleuniger beigemixt, der die Wirkung potenziert.«
»Nur ein Beschleuniger, oder wurden auch psychedelische oder halluzinogene Inhaltstoffe gefunden?« will Kascha wissen, und Mattusch erwidert ihren fragenden Blick mit einer derart sorgenvollen Miene, als trüge er allein die Last der Welt oder zumindest die Verantwortung dafür auf seinen Schultern.
»Soweit wir wissen, ist nichts dergleichen drin, das heißt aber nicht, dass es generell ausgeschlossen wäre. Du weißt ja selbst, dass der Handel mit synthetischen Drogen ein einträgliches Geschäft ist, an dem viele mitverdienen, und Kreativität macht sich eben auch hier bezahlt. Aber, um deine eigentliche Frage zu beantworten – es wurden weder in den Blut- und Urinproben von Sandra Kovács noch in den Drogen, die sie bei sich trug, Wirkstoffe gefunden, die Halluzinationen verursachen.«
»Helmut, ich verstehe erstens nicht, warum sie überhaupt noch hier ist, und zweitens frage ich mich, was ich dabei zu tun hab.«
Mattusch kratzt sich am Kopf, die Psychologin hat den Finger genau auf die Wunde gelegt, in der die Tobisch-Eule schon seit Tagen bohrt. In knappen Worten fasst er das Dilemma zusammen, in dem er selbst, Dr. Weller und jetzt auch Kascha stecken. Zum einen ist da Sandras stark schwankender Gesundheitszustand, also der Grund, weshalb sie sich immer noch im Nordklinikum aufhält. Weller und ein weiterer Arzt hatten deutlich gemacht, dass sie einen Transport ihrer Patientin zur Zeit nicht verantworten können, Staatsanwalt Tobisch könne es seinerseits aber kaum länger verantworten, eine Gewalttäterin in einer öffentlichen Klinik zu verwahren. Zum anderen gibt es die Spur nach Pilsen, die ebenfalls über Sandra führt.
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