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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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Über allem aber, und hier sitzt der verzwickte Knackpunkt, steht die Frage nach Sandras psychischem Befinden, das Grund zu ernsthafter Sorge gibt und gleichzeitig die Frage nach dem möglichen Tatmotiv aufwirft. Ein Teufelskreis, in dessen Zentrum immer wieder Sandra Kovács steht, die aber vollkommen weggetreten ist, wie unter einem enormen Schock zusammengebrochen erscheint.
    »Du siehst, Kascha, die Antworten auf ein ganzes Rudel von Fragen kennt nur eine einzige Person, und die will oder kann nichts sagen. Wenn es jemandem gelingt, sie zum Reden zu bringen, dann bist du es«, resümiert Mattusch mit ernstem Gesicht und leise fügt er hinzu, »und du hast nicht viel Zeit.«
     
    *
     
    Sie hatte nicht gesprochen, sie spricht immer noch nicht. Damals hatte sie keine Kraft, heute hat sie keine. Damals hat ihr Furcht die Kehle zugedrückt und heute noch würgt sie dieselbe Furcht. Spiel, spiel und mach ja keinen Fehler! Spiel, Sandra, achte auf deine Haltung, achte auf den Bogen. Spiel, spiel, mein Mädchen und spiel gut! Die Finger haben gezittert und in der nassen Handfläche rutscht ein Bogen weg – Eins! Sie schnappt nach Luft, reibt sich die Handfläche an der Hose ab, setzt wieder an, die Noten tanzen vor ihren Augen. Du brauchst keine Noten, du kennst das Stück. Wer am Papier klebt, kann niemals fliegen. Spiel, spiel und spiel es richtig! Und immer wieder die Frage, die Frage, die in ihr schreit – so laut in ihr schreit, dass man es durch ihre aufeinandergepressten Lippen hören kann, damals wie heute: Lebt er noch oder ist er ertrunken?
     
    *
     
    »Genau, und wenn ich es nicht schaffe, wirfst du mich in den Wöhrder See mit einem Käse an den Füßen«, versucht Kascha die angespannte Situation zu entkrampfen, sie weiß genau, dass Verspannungen selten zu guten Ideen führen, aber genau die würde sie jetzt brauchen, und zwar zuhauf. Auch ist ihr jetzt vollkommen klar, unter welchem Druck Mattusch gerade steht – und nun auch sie, denn er legt sein ganzes Vertrauen in ihre Arbeit. In ihre und in die der Mitarbeiterin mit dem griechischen Namen.
    »Sag, Helmut, wann lerne ich denn eure neue Kollegin endlich kennen?«
    Die Frage kommt derart unerwartet, dass Mattuschs Kehle in die Bredouille gerät – lachen und trinken geht nun einmal nicht gleichzeitig! Das Resultat ist ein kurzer Hustenanfall, der gegen Ende in ein unterdrücktes Lachen übergeht.
    »Frau Kandeloros«, schnaubt Mattusch und schnappt nach Luft, »ist heute zum ersten Mal bei Häckel!«
     
    *
     
    »Was ist mit mir passiert?«
    Dr. Billmeier hantiert mit dem Stethoskop und lässt die Frage unbeantwortet.
    »Bitte atmen Sie mehrmals tief ein – tief aus – tief ein … danke. Und jetzt versuchen Sie bitte, Ihre Zehen zu bewegen. – Ziehen Sie das linke Bein ein Stück an. – Strecken Sie es wieder aus. Haben Sie Schmerzen? – Jetzt bitte das rechte Bein. – Krümmen Sie Ihre Finger. – Heben Sie den linken Arm. Immer langsam! – Winkeln Sie den Arm an. – Jetzt dasselbe mit dem rechten Arm. – Es sieht ganz so aus, als wären Sie noch einmal davongekommen. Wir werden Sie übers Wochenende weiter beobachten. Aber offenbar haben Sie ganz unglaubliches Glück gehabt. Es war knapp. Sie hatten viel Blut verloren.«
    »Was ist mit mir passiert?«
    »Sie haben Stich- und Schnittverletzungen an Hals und Brustkorb erlitten. Vor drei Tagen, am Dienstagnachmittag, wurden Sie in die Notaufnahme eingeliefert. Mehr darf ich Ihnen vorerst nicht sagen.« Dr. Billmeier hebt bedauernd die Schultern. »Die Polizei ermittelt in der Sache und wird Sie noch aufsuchen. Können Sie sich an irgendetwas erinnern?«
    »Die Räbin«, sagt Gerlach unwillkürlich.
    »Bitte?«
    Gerlach macht eine matte Geste.
    »Nein, das hat alles keinen Sinn … Ich muss nachdenken …«
    »Manche Wirkstoffe in den Medikamenten, die wir Ihnen geben mussten, können unter Umständen intensive Traumbilder hervorrufen, in manchen Fällen auch Halluzinationen. Machen Sie sich also keine Sorgen, wenn Sie glauben, sich an merkwürdige Dinge zu erinnern. Es wird sich alles wieder klären.«
    Er sieht auf seine Uhr.
    »In etwa zwei Stunden bin ich noch einmal bei Ihnen. Übrigens, gibt es Angehörige, die wir verständigen müssen? An Ihrem Gymnasium konnte man uns da nicht weiterhelfen.«
    »Ich habe nur eine Tante in Berlin.«
    Die Sonne, die der Räbin das Gefieder versengte, brennt am wolkenlosen Himmel und wird von der Jalousie auf Zimmerlautstärke

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