Blausäure
nicht!», rief George. «Ich sag’s Ihnen – ich weiß es nicht! Wenn ich nur das Geringste wüsste – »
«Schon gut – schon gut! Ich dachte, Sie hätten einen bestimmten Verdacht. Könnte eigentlich nicht so schwer sein. Wie haben Sie gesessen – angefangen bei Ihnen?»
«Sandra Farraday saß natürlich rechts von mir. Neben ihr Anthony Browne. Dann Rosemary. Daneben Stephen Farraday, dann Iris und neben ihr Ruth Lessing zu meiner Linken.»
«Ah ja. Und Ihre Frau hatte schon vorher Champagner getrunken?»
«Ja. Die Gläser waren mehrmals nachgefüllt worden. Es – es passierte während der Variete-Vorstellung. Es war ein riesiger Lärm – Jazzmusik, Sie wissen schon – und wir sahen alle zu. Kurz bevor das Licht wieder anging, sackte sie auf den Tisch. Vielleicht hat sie gerufen – oder gekeucht – aber niemand hat etwas gehört. Der Arzt sagte, der Tod sei quasi auf der Stelle eingetreten – Gott sei Dank!»
«Ja, da haben Sie Recht. Nun, Barton, auf den ersten Blick scheint es ziemlich eindeutig.»
«Was meinen Sie?»
«Stephen Farraday natürlich. Er saß rechts von ihr. Seine linke Hand war dicht an ihrem Champagnerglas dran. Kinderleicht für ihn, das Zeug reinzuschütten, sobald die Lichter ausgingen und sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Bühne richtete. Kein anderer hatte auch nur annähernd solch eine gute Gelegenheit wie er, denke ich. Ich kenne die Tische im Luxembourg. Um sie herum ist ziemlich viel Platz – ich glaube nicht, dass sich irgendjemand über den Tisch hätte beugen können, ohne dass man es bemerkt hätte, selbst als die Lichter aus waren. Das Gleiche gilt für den Burschen zu Rosemarys Linken. Um ihr etwas ins Glas zu tun, hätte er sich an ihr vorüberbeugen müssen. Es gibt zwar noch eine andere Möglichkeit, aber wir fangen mit dem Augenscheinlichen an. Gibt’s irgendeinen Grund für Stephen Farraday, Mitglied des Unterhauses, Ihre Frau aus dem Weg zu räumen?»
George antwortete mit unterdrückter Stimme:
«Sie – sie waren ziemlich eng befreundet. Falls – falls Rosemary ihm einen Korb gegeben hätte, dann hätte er sich vielleicht rächen wollen.»
«Klingt äußerst melodramatisch. Das wäre Ihrer Meinung nach sein einziges Motiv?»
«Ja», sagte George.
Sein Gesicht war sehr rot. Race warf ihm den flüchtigsten aller Blicke zu. Dann fuhr er fort:
«Lassen Sie uns Möglichkeit Nummer zwei prüfen! Eine von den Damen.»
«Warum das?»
«Mein lieber George, es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass es bei einer Runde von sieben Personen, vier Frauen und drei Männern, hin und wieder im Laufe des Abends zu der Situation kommen kann, dass drei Paare tanzen und eine Dame allein am Tisch zurückbleibt. Haben Sie getanzt?»
«O ja!»
«Gut! Können Sie sich daran erinnern, wer vor der Show auch nur einen Moment allein zurückblieb?»
George dachte nach.
«Ich glaube – ja, Iris ist zuletzt übrig geblieben, und vor ihr Ruth.»
«Sie erinnern sich nicht zufällig, wann Ihre Frau zuletzt von dem Champagner trank?»
«Warten Sie, sie hatte mit Browne getanzt. Ich erinnere mich daran, wie sie an den Tisch zurückkehrte und sagte, dass sie völlig aus der Puste sei – er ist ein ziemlich anspruchsvoller Tänzer. Dann hat sie ihr Glas geleert. Ein paar Minuten später spielten sie einen Walzer, den sie – den sie mit mir tanzte. Sie wusste, dass das der einzige Tanz ist, bei dem ich mich nicht völlig blamiere. Farraday tanzte mit Ruth und Lady Alexandra mit Browne. Iris setzte aus. Und direkt danach fing das Programm an.»
«Dann wollen wir uns mal die Schwester Ihrer Frau vornehmen. Hat sie beim Tod Ihrer Frau irgendetwas geerbt?»
George geriet ins Stottern.
«Mein lieber Race, das ist ja absurd! Iris war ja noch ein halbes Kind, ein Schulmädchen.»
«Ich kenne zwei Schulmädchen, die einen Mord begangen haben.»
«Aber doch nicht Iris! Sie hat Rosemary angebetet.»
«Das hat nichts zu sagen, Barton. Sie hatte die Gelegenheit. Jetzt möchte ich wissen, ob sie ein Motiv hatte. Ihre Frau war doch vermögend, nicht wahr? Wer hat das ganze Geld geerbt – Sie?»
«Nein, Iris – ich bin ihr Treuhänder.»
Er erklärte die Lage, und Race hörte aufmerksam zu.
«Merkwürdige Situation. Die reiche Schwester und die arme Schwester. Manche Mädchen hätten etwas dagegen gehabt.»
«Iris bestimmt nicht.»
«Vielleicht nicht – aber ein Motiv hatte sie also. Lassen Sie uns in dieser Richtung weitermachen. Wer hatte sonst noch ein
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