Blauwasserleben
mit.«
»Und Teller und Besteck! Wir haben nicht so viel davon. Und sagt
auch den anderen Yachties Bescheid, dass sie kommen sollen«, rief nun der
Ziegenjäger, da er sich schon wieder auf seinen Rückweg gemacht hatte und sich
nicht mehr zu uns umdrehte.
Bevor wir uns zum Strand aufmachten, zusammen mit Seglern von zwei
anderen Booten, die gerade mit uns in der Bucht lagen, beobachteten wir ein
Phänomen, das sich Green Flash nannte. Bei wolkenlosem Himmel, kurz bevor die
Sonne im Wasser versinkt, färbt sich ihre Korona grün, sodass für einen
Augenblick die letzten Sonnenstrahlen über dem Horizont grün aufblitzen. Die
ganze Zeit in der Karibik wollte ich einen Green Flash erleben â jeder Segler
erzählte davon â, doch nie hatte es geklappt. Endlich, im Pazifik, durfte auch
ich einen bewundern. Ein unglaubliches Naturschauspiel.
Noch war es nicht ganz dunkel, als wir auf der Plantage eintrafen. Und
wir staunten nicht schlecht über das, was man uns nun präsentierte. Ein Büfett
mit Ziegeneintopf, Poisson cru , gekochtem
Wildschwein, Reis, Brotfrucht und Pomelos. Wir holten Plastikteller, -becher
und die Weinflaschen aus dem Rucksack, die wir als Gastgeschenk mitgebracht
hatten. Man forderte uns auf, kräftig zuzulangen, und das lieÃen wir uns nicht
zweimal sagen. Erst als ich nahezu satt war, fiel mir auf, dass niemand von den
Inselbewohnern etwas von den Speisen genommen hatte.
»Habt ihr keinen Hunger?«
Verlegen lächelten sie uns an.
»Oder besitzt ihr keine Teller? Stefan und ich können von einem
Teller essen.« Was war das für eine Frage, wir hatten doch selbst gesehen, wie
sie Schüsseln aus Palmenblättern herstellten, die waren doch nicht nur für die Touristen
gedacht, oder?
»Ich denke, die sind zu schüchtern«, mischte sich Stefan ein.
»Anders gesagt: Gastfreundschaft ist für sie, dass sie erst zu essen anfangen,
wenn wir nichts mehr möchten.«
Ein Stück von dem wunderbar weichen und mürben Ziegenfleisch â
stundenlang mussten die Frauen das ansonsten recht zähe Fleisch auf dem Herd
gekocht haben â fiel mir von der Gabel. In Deutschland hatte ich eine solche
Gastfreundschaft nie erlebt, da hatte jeder das beste Stück Fleisch im Visier.
Nach dem Essen setzten wir uns um ein Feuer, und schon wurden wir
mit Fragen gelöchert.
»Warum habt ihr keine Kinder? Wir sehen keine â¦Â«
Wie sollte man das erklären? Egoismus? Freiheitsdrang?
Wir zuckten mit den Schultern und lächelten.
»Und wo ist eure Familie? Ihr seid nur zu zweit auf dem Boot.«
Etwas zu unternehmen, so weit weg von Vater und Mutter, von
Geschwistern, Tanten und Onkeln â für Polynesier war es unmöglich, das zu
begreifen.
»Für uns ist es ein Traum, so zu leben â¦Â«, fing Stefan zu erzählen
an, wurde aber sofort von Teeii unterbrochen. »Ohne Familie gibt es kein
Traumleben.« Heftig nickten die anderen, die mit uns um das Feuer saÃen.
Wieder schwiegen wir: Für sie war es unvorstellbar, dass das, was
wir gerade auf den Marquesas erfuhren, genau das war, was wir uns unter einem
perfekten Blauwasserleben immer vorgestellt hatten.
Endstation Paradies
Die Trommeln hallten durch die Dunkelheit, jeden Abend
vibrierte die Luft von den Trommelschlägen und dem Gesang der Menschen auf Nuku
Hiva. Dazu führten sie ihre traditionellen Tänze auf, Männer stampften mit
ihren kräftigen FüÃen in den Boden, Frauen wiegten sich im Schneidersitz und
gaben hohe Laute von sich. Sie bereiteten sich auf das Marquesa Art Festival
vor, ein alle vier Jahre wiederkehrendes GroÃereignis, das 2011 Jahre auf Nuku
Hiva zelebriert wurde.
Bewohner der Nachbarinseln würden zu dem Fest kommen, aber auch aus
Hawaii, Fidschi und Tonga, einzelne Gruppen im Wettstreit gegeneinander
antreten, noch dazu sollten viele Aufführungen an den historischen Kultstätten
stattfinden, die mitten im Dschungel lagen und die ohnehin schon mystische
Atmosphäre sicher verstärken würden. Bislang wurde nur unter dem Dach einer
offenen Lagerhalle in Taiohae geprobt, der Hauptstadt aller Marquesas-Inseln,
ohne bunte Blumenkränze und Kostüme, ohne die Bemalung der Krieger.
Noch acht Wochen waren es bis zur Eröffnungsveranstaltung, und Abend
für Abend studierte man in Taiohae die alten Gesänge und Tänze ein. Es war
hinreiÃend, den rund sechzig Menschen
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