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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dia Reeves
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war echt. Ich konnte es beweisen.
    Ich durchwühlte meine Tasche nach einem Nagelclipper und benutzte die Spitze der Metallfeile dazu, mir in den Finger zu schneiden. Zuerst glitt die scharfe Feile nutzlos von dem Glas ab. Ich schüttelte heftig meine Hand und sah, wie Blut hineinfloss. Ich schnitt mich wieder, und diesmal verwandelte sich das Glas zurück in Fleisch.
    »Ha!«, rief ich, als das Blut ins Waschbecken tropfte. Ich war keine Statue. So leicht konnten die mich nicht besiegen.
    »Oh mein Gott!«
    Ich wirbelte herum und sah einen Schwarm zu Tode erschrockener Mädchen, die sich in der Tür zum Waschraum stapelten.
    »So schlimm ist es auch wieder nicht«, beruhigte ich sie und ließ Wasser über meinen Finger und die größer werdende Blutpfütze im Becken laufen. »Nur ein Kratzer …«
    Sie stürmten an mir vorbei, versammelten sich um die Statue und heulten, wie es auch die Sachbearbeiter im Sekretariat schon getan hatten.
    Was hatten diese Leute eigentlich dauernd mit den Statuen?
    Nach einem Ausflug zur Schulkrankenschwester, die mir ohne großes Mitgefühl den Finger verband, verbrachte ich den Rest des Tages damit, mich von den anderen komplett und ausnahmslos ignorieren zu lassen. Vielleicht hatte Rosalee recht. Vielleicht war ich an dieser Schule voller durchgedrehter Arschlöcher wirklich ein Niemand.

7

    Als ich nach der Schule nach Hause radelte, konnte ich spüren, wie ich mich auflöste. Mein Haar, das rötlich im Sonnenlicht schimmerte, löste sich aus dem Knoten. Die Korkenzieherlocken fielen mir unruhig in mein aufgeheiztes Gesicht und blockierten den Blick auf den Verkehr. Meine Kleiderträger rutschten mir dauernd über die Schultern. Sogar mein Gehirn schien sich abzuwickeln: zufällige, unzusammenhängende Gedanken purzelten durch meinen Schädel, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.
    Ich hatte die Kontrolle verloren.
    Ich versuchte, alles in einem besseren Licht zu sehen, aber die Realität hatte meinen Blick verdunkelt. Rosalee gegenüber musste ich zugeben, dass ich es nicht geschafft hatte dazuzugehören. Genau, wie sie es vorhergesagt hatte. Und ich hatte keine verdammte Ahnung, wie ich das in ein besseres Licht rücken könnte.
    Dabei sollte ich jetzt eigentlich mitten im Scheinwerferlicht stehen. Portero war eine Kleinstadt, zum Henker. Eigentlich sollte ich mich vor lauter wissbegierigen Nachbarn nicht mehr zu retten wissen, die Aufläufe in Tupperware herbeischleppten und schon ganz zerfressen waren vor Neugier, was mich betraf.
    Überall waren Menschen. Auf den breiten Gehwegen wimmelte es nur so von Frauen in schwarzen Sommerkleidern und Männern mit schwarzen Hüten, die mit Verkäufern in schwarzen Schürzen quatschten.
    Aber was diese Sepiaidylle merklich zerstörte, waren die vielen Flyer von vermissten Personen.
    Es gab überall Unmengen von Flyern, vermisst wurden Personen jedes Alters, jeder Größe, jeder Art. Die Flyer klemmten unter Scheibenwischern, waren an die Bäume genagelt, die die Mittelstreifen schmückten. Die gesamte Außenwand eines Künstlerbedarfs war von oben bis unten damit zugepflastert – wie ein morbides Wandbild.
    Es wunderte mich gar nicht, dass so viele Leute aus Portero weggelaufen waren. Oder, wenn man bedachte, wie sie mich in der Schule behandelt hatten – weggejagt worden waren.
    Ich hielt an einer roten Ampel gleich neben einem Stand mit dunklem Pfirsichsaft.
    Dunkler Pfirsichsaft?
    Ein kleines Mädchen mit geflochtenem Haar flitzte flink wie ein Kolibri zu den Autofahrern hinter mir und tauschte durchsichtige Plastikbecher, gefüllt mit etwas, das wie flüssiger Sonnenschein aussah, gegen Geld.
    Dunkler Pfirsichsaft?
    Ein noch kleineres Mädchen am Verkaufsstand rief mir zu: »Dunkler Pfirsichsaft. Zwei Dollar der Becher.«
    Das älteste Mädchen war ungefähr in meinem Alter. Sie war ebenfalls am Verkaufsstand und bediente die Fußgängerschlange auf dem Gehweg. Für einen Moment hörte sie auf, den Saft auszuschenken, und gab dem kleinen Mädchen einen Klaps aufs Ohr. »Du sollst Frems nichts anbieten, du Dummkopf. Da kannst du den Saft auch gleich in den Abfluss kippen.«
    »Woher willst du denn wissen, dass ich eine Frem bin?«, fragte ich das älteste Mädchen, das mich schließlich noch nie zuvor gesehen hatte.
    Sie musterte mich kurz und schenkte dann weiter den Saft aus. »Bunte, alberne Klamotten. Keine Narben zu sehen. Aber ganz besonders die Augen. Man erkennt sie immer an den Augen. Deine haben noch nichts Echtes

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