Bleib nicht zum Frühstück
jungen Mädchen vom Land geworden, das seinen Abendbrottisch mit Löwenzahnsträußen verschönert hatte?
Der Kellner kam herbei, und Jim bestellte zwei Gläser ihres gemeinsamen Lieblingsweins, woraufhin Lynn um eine Diät-Pepsi bat. Als der Ober wieder gegangen war, sah er sie fragend an.
»Ich habe fünf Pfund zugenommen«, erklärte sie.
»Du machst schließlich auch gerade eine Hormontherapie. Da ist ein bißchen mehr Gewicht normal.«
»Nicht wegen der Pillen, sondern aufgrund von Annies Küche habe ich zugelegt. Ohne mindestens einen Löffel Butter im Essen hält sie es für ungenießbar.«
»Klingt so, als würdest du die fünf Pfund am raschesten wieder los, wenn du nach Hause zurückkehrst.«
Einen Moment später sagte sie: »Heartache Mountain ist für mich zu Hause.«
Er hatte das Gefühl, als ob ihm etwas Kaltes in den Nacken blies. »Ich spreche von deinem wahren Zuhause.
Von unserem Zuhause.«
Statt zu antworten griff sie nach der Speisekarte und blätterte sie durch. Der Ober kam mit den Getränken, und sie gaben ihre Bestellung auf. Während sie auf ihr Essen warteten, plauderte Lynn über das Wetter und über ein Konzert, das sie in der letzten Woche gehört hatte. Sie erinnerte ihn daran, daß er seine Klimaanlage überprüfen lassen mußte und erzählte davon, daß eine der Hauptstraßen aufgerissen worden war. Ihr Gerede tat ihm weh.
Diese schöne Frau, die früher immer frisch von der Leber weg schnatterte, behielt ihre Gefühle inzwischen stets für sich.
Sie schien fest entschlossen zu sein, persönlichen Themen aus dem Weg zu gehen; aber früher oder später würde sie sicher unweigerlich auf ihre Söhne zu sprechen kommen, und so sagte er: »Gabe hat gestern abend aus Mexiko angerufen. Offenbar hielt es keiner seiner Brüder bisher für nötig, ihm mitzuteilen, daß du ausgezogen bist.«
Besorgt runzelte sie die Stirn. »Du hast doch wohl hoffentlich auch nichts davon gesagt? Er hat schon genug Probleme. Ich möchte nicht, daß er sich auch noch unseretwegen grämt.«
»Nein, ich habe nichts gesagt.«
Die Erleichterung über diese Antwort war ihr anzusehen.
»Er tut mir schrecklich leid. Ich wünschte, er würde nach Hause kommen.«
»Vielleicht tut er das ja eines Tages auch.«
»Außerdem mache ich mir Sorgen um Cal. Ist dir irgend etwas an ihm aufgefallen?«
»Auf mich macht er einen durchaus zufriedenen Eindruck.«
»Mehr als zufrieden. Gestern traf ich ihn in der Stadt, und er sah richtiggehend glücklich aus. Ich verstehe das einfach nicht, Jim. Er hat immer eine gute Menschenkenntnis besessen; aber jetzt scheint er nicht zu bemerken, daß ihm diese Frau das Herz brechen wird. Weshalb durchschaut er sie nicht?«
Bei dem Gedanken an seine neue Schwiegertochter verzog sich Jims Miene grimmig. Er hatte sie erst vor ein paar Tagen auf der Straße getroffen, aber sie war an ihm vorbei stolziert, als wäre er Luft. Sie hatte sich geweigert, sich auch nur ein einziges Mal in der Kirche blicken zu lassen, hatte die Einladungen einiger der nettesten Frauen der Stadt ausgeschlagen und war nicht einmal zu einem Essen erschienen, das die Jaycees Cal zu Ehren gaben. Der einzige Mensch, dem sie einen Teil ihrer Zeit widmete, schien Kevin Tucker zu sein. Was nichts Gutes für seinen Sohn verhieß!
»Es ist mir ein Rätsel«, fuhr Lynn fort. »Wie kann er so aufgeräumt aussehen, obwohl er mit einer solchen… einer solchen …«
»… kaltherzigen Hexe verheiratet ist.«
»Leider hasse ich sie. Ich kann es nicht ändern. Sie wird ihm sehr weh tun, und das hat er nicht verdient.« Sie runzelte die Stirn, und die Heiserkeit ihrer Stimme verriet die Tiefe ihres Kummers. »All die Jahre haben wir darauf gewartet, daß er zur Ruhe kommt und eine liebevolle Partnerin findet – aber guck nur, wen er sich ausgesucht hat – eine Frau, die sich für niemanden interessiert außer für sich selbst.« Auch ihr Blick umwölkte sich. »Und uns sind die Hände gebunden.«
»Wir können ja nicht einmal unsere eigenen Probleme lösen, Lynn. Wie sollten wir da Cal von Nutzen sein?«
»Das ist nicht das gleiche. Er ist – er ist verletzlich.«
»Wir nicht?«
Zum ersten Mal bekam ihre Stimme einen leicht aggressiven Ton. »… habe ich nicht behauptet!«
Bitterkeit verengte ihm die Brust und stieg wie Galle in seiner Kehle auf. »Mir reicht allmählich dieses Katz-und-Maus-Spiel, das du mit mir treibst. Ich warne dich, Lynn; länger mache ich das nicht mehr mit.«
Sofort bemerkte er seinen
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