Bleib nicht zum Frühstück
einem Mal verspürte sie eine seltsame Lebendigkeit. Hier in diesem halb verfallenen Haus im Schatten der Great Smokie Mountains bekam sie plötzlich das Gefühl, möglicherweise einen bisher fehlenden Teil ihrer Seele wiederzufinden. Hier in diesem Raum, in dem es nach Kiefer und Moder und Kaminrauch roch.
»Janie Bonner, ich möchte, daß du mir was versprichst.«
Das Gefühl verflog, als sie diesen Namen hörte; aber sie bekam keine Gelegenheit, Annie zu erklären, daß sie weiter ihren Mädchennamen trug.
»Janie Bonner, ich möchte, daß du mir hier und jetzt versprichst, Calvin eine gute Ehefrau zu sein, und daß dir sein Wohlergehen stets wichtiger ist als dein eigenes.«
Ein solches Versprechen wollte sie nicht geben, und nur mit Mühe verbarg sie ihr Entsetzen. »Das Leben ist kompliziert. So etwas kann man nicht einfach…«
»Natürlich ist es nicht leicht«, schnauzte die alte Dame.
»Aber du hast dir ja wohl nicht eingebildet, daß eine Ehe mit diesem Mann leicht sein würde.«
»Nein, aber…«
»Tu, was ich sage. Versprich es mir!«
Der Blick aus Annies blauen Augen war stärker als Janes eigene Willenskraft. Sie merkte, daß sie der Alten einfach nicht gewachsen war. »Ich verspreche, mein möglichstes zu tun.«
»Das reicht.« Wieder schloß Annie die Augen. Das Quietschen ihres Schaukelstuhls und ihr pfeifender Atem bildeten die einzigen Hintergrundgeräusche zu der samtigen Stimme, die aus dem Lautsprecher ertönte. »Calvin, versprich mir, daß du dich um Jane kümmern wirst, wie es sich für einen Ehemann gehört, und daß dir ihr Wohlergehen stets wichtiger sein wird als dein eigenes.«
»Also, bitte, Annie, wenn man jahrelang auf die Richtige gewartet hat, ist es doch logisch, daß man das tut, wenn man sie endlich gefunden hat.«
Annie machte die Augen wieder auf und nickte zufrieden, da ihr Cals boshafter Blick in Janes Richtung ebensowenig wie die Tatsache, daß er überhaupt nichts versprochen hatte, aufgefallen war.
»Wenn ich deiner Mama und deinem Daddy dasselbe Versprechen abgenommen hätte, Calvin, wäre es für sie beide vielleicht besser gewesen, aber damals war ich einfach noch nicht schlau genug.«
»Es hatte kaum etwas mit deinem Grips zu tun, du alte Heuchlerin! Du warst über deinen Bonner-Schwiegersohn so glücklich, daß alles andere nicht mehr zählte.«
Sie spitzte die Lippen, und Jane sah die Stellen, an denen ihr Lippenstift in den Altersfalten um ihre Lippen herum verlaufen war. »Die Bonners haben immer gedacht, sie wären zu gut für die Glides, aber ich schätze,' wir haben es ihnen gezeigt. Meine drei Enkelsöhne sind fast alle echte Glides. Zumindest du und Gabriel. Ethan war leider immer ein Weichling, mehr ein Bonner als ein Glide.«
»Ethan ist noch lange kein Weichling, nur weil er Pfarrer wurde.« Cal erhob sich von der Couch. »Wir müssen los, aber bilde dir ja nicht ein, ich würde die kaputte Treppe vergessen. Und jetzt sag mir, wo du diese verdammten Zigaretten versteckst.«
»Dort, wo du sie niemals finden wirst.«
»Das glaubst auch nur du.« Er trat vor die alte Kommode neben der Küchentür, öffnete die unterste Schublade und zog eine Stange Camel heraus. »Die nehme ich mit.«
»Du willst sie ja bloß selber rauchen.« Mühsam hievte sie sich aus dem Schaukelstuhl. »Wenn Calvin das nächste Mal kommt, will ich dich wieder hier sehen, Janie Bonner.
Schließlich mußt du lernen, was es heißt, mit einem Jungen vom Land verheiratet zu sein.«
»Sie arbeitet im Augenblick an einem wichtigen Forschungsprojekt«, schränkte Cal ein. »Ich fürchte, sie hat nicht allzuviel Zeit für Besuche.«
»Ist das wahr?« Jane meinte so etwas wie Enttäuschung in Annies Augen zu lesen.
»Ich komme jederzeit gern vorbei.«
»Na also.«
Cal preßte die Lippen zusammen, und sie merkte, daß ihm ihre Antwort nicht paßte.
»Geht jetzt. Ich will meinen Harry hören, ohne daß ständig jemand dazwischenquatscht.«
Cal öffnete die Tür und setzte höflich einen Schritt zurück, damit Jane vor ihm hinaustreten konnte. Allerdings hatten sie den Wagen kaum erreicht, als Annies Stimme sie innehalten ließ.
»Janie Bonner!«
Sie drehte sich um und bemerkte, daß die alte Frau ihnen durch das Fliegengitter nachschaute.
»Und geh bloß immer ohne Kleider ins Bett, auch im Winter, hast du mich gehört? Geh so zu deinem Mann, wie der liebe Gott dich erschaffen hat. Auf diese Weise hältst du ihn vom Streunen ab.«
Jane fiel einfach keine passende
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