Bleib nicht zum Frühstück
Vordertreppe vor, daß er, statt andere anzuheuern, die Reparatur selbst in die Hände nähme. Also hatte er sich knurrend ans Werk gemacht, doch nach kurzer Zeit pfiff er fröhlich vor sich hin. Er bekam die Treppe hervorragend hin und erledigte dann noch ein paar andere dringende Reparaturen. Heute hatte er mehrere Eimer Farbe gekauft und die alte Farbe von den Außenwänden des Häuschens abgekratzt.
Sie glitt in ein kurzärmliges graues Nachthemd, auf dessen Brusttasche ein gestickter Goofy zu sehen war. Morgen abend fände das Essen bei Cals Eltern statt. Er hatte ihr Versprechen, sich distanziert zu geben, nicht noch mal erwähnt, ihr aber auch bestimmt nicht erlassen.
Obgleich sie gähnte vor Müdigkeit, war es doch erst elf Uhr, und sie würde noch nicht einschlafen können. Also räumte sie ihre Arbeitsecke auf und fragte sich wieder einmal, wo Cal wohl seine Abende verbrachte. Sie nahm an, daß er andere Frauen traf. Lynn hatte den Mountaineer erwähnt. Annie klärte sie auf, daß es ein Privatclub war. Traf er dort seine Freundinnen?
Auch wenn ihre Ehe nicht echt war, tat ihr der Gedanke weh. Sie wollte nicht, daß er sich mit anderen Weiblichkeiten abgab. Er sollte ihr gegenüber zärtlich sein!
Ihre Hände lagen reglos auf dem Stapel Ausdrucke, den sie hatte zurechtrücken wol en. Was dachte sie da nur?
Durch Sex würde ihr ohnehin bereits komplizierte Situation vollends unmöglich gemacht. Aber noch während sie sich das sagte, erinnerte sie sich daran, wie ungemein attraktiv Cal heute, als er ohne Hemd auf der Leiter gestanden und an der Fassade von Annies Haus herumgewerkelt hatte, wirkte. Es hatte sie wahnsinnig gemacht, das Spiel seiner Muskeln zu beobachten, und so bemächtigte sie sich schließlich seines Hemds und drückte es ihm unter strengen Vorhaltungen über das Ozonloch und Hautkrebs in die Hand.
Lust. Das war alles, worum es ging. Reine, unbezweifelbare Lust. Aber sie gäbe ihr nicht nach.
Sie brauchte etwas, das sie ablenkte von diesem Gedankengang, und so trug sie ihren überquellenden Papierkorb in die Garage, um ihn auszuleeren. Anschließend blickte sie durch das Küchenfenster zum Mond hinauf und dachte an die alten Wissenschaftler – Ptolemäus, Kopernikus, Galileo –, die die Geheimnisse des Universums zu lüften trachteten, obgleich ihnen nur eine spärliche Sammlung primitivster Instrumente zur Verfügung stand. Selbst Newton hätte sich die Geräte nicht vorstellen können, mit denen sie heute arbeiteten, angefangen bei dem leistungsstarken Computer auf ihrem Schreibtisch bis hin zu den gigantischen Teilchenbeschleunigern.
Erschrocken fuhr sie zusammen, als hinter ihr die Tür geöffnet wurde und Cal auftauchte. Während sie ihn ansah, fiel ihr blitzartig auf, in was für einem Einklang dieser Mann mit seinem Körper stand. Zu seinen Jeans trug er ein weinrotes Baumwollhemd und einen schwarzen Nylonparka. Ihre Haut prickelte, als piekse jemand mit zahllosen winzigen Nadeln auf sie ein.
»Ich dachte, du wärst bereits im Bett«, raunzte er, und sie fragte sich, ob die leichte Heiserkeit in seiner Stimme wohl nur ihrer Einbildung entsprang.
»Es geht mir noch allerlei durch den Kopf.«
»Vielleicht die Kartoffeln, die du heute gepflanzt hast?«
Sie lächelte. »Nein, Newton. Isaac.«
»Den Namen habe ich schon mal gehört«, stellte er trocken fest. Die Ränder seines Parka schoben sich über sein Handgelenk, als er die Hände in den Taschen seiner Hose versenkte. »Ich hätte gedacht, daß ihr modernen Physiker in eurer Begeisterung für den Tollen Typen den alten Isaac längst vergessen habt.«
Die Bezeichnung von Einstein als Tollem Typen amüsierte sie. »Glaub mir, der Tolle Typ hegte für seine Vorgänger jede Menge Respekt. Nur, daß er sich eben durch die Newtonschen Gesetze nicht hat aufhalten lassen.«
»Meiner Ansicht nach war er doch ziemlich respektlos.
Isaac hat die ganze Arbeit geleistet, und dann stellte der alte Albert einfach alles auf den Kopf.«
Abermals lächelte sie. »Die besten Wissenschaftler waren immer auch Rebellen. Gott sei Dank hängt man uns heutzutage für unsere Theorien nicht mehr auf.«
Er zog seinen Parka aus und warf ihn auf einen der Barhocker. »Wie kommst du mit deiner Top-Quark-Suche voran?«
»Ich brauche es nicht mehr zu suchen, denn es wurde bereits 1995 entdeckt. Woher weißt du überhaupt, auf welchem Gebiet ich arbeite?«
Seine Schultern hoben sich. »Ich bin eben gern über alles informiert.«
»Wie gesagt, ich
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