Bleib nicht zum Frühstück
hatte sich sogar eingebildet, glücklich zu sein.
Dann allerdings raubte ihm das Schicksal seinen einzigen Enkel und eine bezaubernde Schwiegertochter; und während er hilflos mit ansehen mußte, wie sein zweiter Sohn in bodenloser Trauer versank, schlug eine Tür in seinem Inneren zu. Als Cal anrief, um ihnen seine Hochzeit mitzuteilen, war neue Hoffnung in ihm aufgeblüht. Aber nun hatte er seine zweite Schwiegertochter kennengelernt.
Wie konnte Cal nur eine derart kalte, hochnäsige Ziege heiraten? Erkannte er denn nicht, daß sie durch und durch die Falsche für ihn war?
Er umfaßte den Kaffeebecher mit beiden Händen und blickte auf den schmalen, geraden Rücken seiner Frau.
Lynn war ebenfalls restlos erschüttert über die Partnerwahl ihres Sohnes, und sie beide suchten verzweifelt nach einem Grund für seinen Fehlgriff. Die Physikerin besaß einen subtilen Sex-Appeal, der, wenn vielleicht auch Lynn, ihm selbst nicht verborgen geblieben war – aber deshalb konnte Cal doch nicht gleich mit ihr vor den Traualtar treten! Jahrelang quälte es sie, daß er stets mit viel zu jungen und intellektuell begrenzten Frauen dahergekommen war, aber wenigstens hatten sie ein gutes Herz gehabt.
Leider konnte er Cals Probleme nicht lösen, zumal er offenbar nicht einmal zur Bewältigung seiner eigenen Nöte in der Lage war. Die Unterhaltung beim Essen hatte ihm so vieles in Erinnerung gerufen, und nun verrann ihm die Zeit – unmöglich konnte er alles nachholen, was er in der Vergangenheit versäumt hatte.
»Warum hast du nie etwas zu dem Tag gesagt, an dem ich deine Kekse kaufte? All die Jahre hast du niemals die Rede darauf gebracht.«
Sie hob den Kopf, und er dachte, sie gab vor, ihn nicht zu verstehen; aber eigentlich hätte ihm klar sein müssen, daß sie für eine derartige Heuchelei viel zu ehrlich war. »Großer Gott, Jim, das Ganze ist jetzt sechsunddreißig Jahre her.«
»Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen.«
Damals, an einem wunderbaren Apriltag, während seines ersten Collegejahres, fünf Monate nach Cals Geburt, war er mit einer Handvoll neuer Freunde, lauter Studenten höherer Semester, aus einem Chemielabor gekommen. Er erinnerte sich nicht mehr an ihre Namen; aber seinerzeit hatte er sich nach Anerkennung gesehnt, und als einer von ihnen rief: »He, da kommt wieder das Gör mit den Keksen angezockelt«, war er zu Eis erstarrt.
Warum mußte sie ausgerechnet hier auftauchen, wo er mit seinen neuen Freunden stand? Zorn und Unwillen hatten ihn überrumpelt. Sie war eine so verdammt jämmerliche Gestalt. Wie konnte sie ihn nur derart in Verlegenheit bringen in einer Welt, die ihm gehörte?
Hinter dem zerschlissenen Buggy mit den wackligen Rädern hatte sie wie ein Lumpenkind ausgesehen, wie das Bauernmädel aus den Bergen, das sie auch gewesen war. In dem Moment hatte er alles vergessen, was er an ihr liebte: ihr Lachen, die Art, in der sie sich begeistert in seine Arme warf, die kleinen Spuckeherzen, die sie auf seinen Bauch zeichnete, ehe sie sich ihm so anbetend hingab, daß er an nichts mehr denken konnte als mit ihr zu verschmelzen.
Nun allerdings, da sie so heranrückte, begann jedes giftige Wort seiner Eltern über sie in seinen Ohren widerzuhallen. Sie war nicht gut. Eine Glide. Sie hatte ihn in die Falle gelockt und seine Zukunft besiegelt. Falls er je einen Penny von ihnen sehen sollte, erwarteten sie, daß er sich zuvor von ihr scheiden ließ. Er hatte etwas Besseres verdient als ein kakerlakenverseuchtes Appartement und ein dahergelaufenes Landkind, auch wenn ihm ihre Zärtlichkeit und Fröhlichkeit oft vor Rührung die Tränen in die Augen trieb.
Panik hatte ihm die Kehle zugeschnürt, als seine neuen Freunde schrien: »He, Kleine, hast du heute Erdnußbutterkekse dabei?«
»Wieviel kosten zwei Pakete Chocolate Chips?«
Am liebsten wäre er davongerannt, aber dazu halte er keine Gelegenheit mehr. Seine Kommilitonen begutachteten bereits die Erzeugnisse, die sie gebacken hatte, während er noch schlief. Einer von ihnen hatte sich vorgebeugt und seinen Sohn gekitzelt, und ein anderer winkte ihm zu.
»He, Jimbo, komm her! Etwas Besseres als die Kekse von dem Baby hier gibt es nicht.«
Amber hatte zu ihm aufgeblickt, und in ihren himmelblauen Augen hatte er ein erwartungsvolles Blitzen ausgemacht. Zweifellos wartete sie auf den Augenblick, in dem er sie als seine kleine Ehefrau vorstellen würde. Außerdem hatte er gewußt, daß sie die Komik dieser Situation ebenso
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