Bleib ungezaehmt mein Herz
Immerhin hast du mich zu deinem Bevollmächtigten ernannt.«
»Was um alles in der Welt meinst du?« fragte Judith verwirrt.
Sebastian grinste. »Hoffentlich habe ich nicht gerade Granthams Konkursmasse umsonst gekauft. Ich hätte schwören können, daß du mich gebeten hast...«
»Oh, Sebastian, du hast sie!« Sie küßte ihn schallend auf die Wange. »Ich habe nur nicht geglaubt, daß du es so schnell ermöglichen könntest.«
»Alles bereits unter Dach und Fach.« Er war offensichtlich sehr zufrieden mit sich. »Hab' den Handel gerade eben abgeschlossen. Steffington und Broughton waren auch beide sehr interessiert.«
»Du bist sehr geschickt, mein Lieber«, lobte sie. »Wo sind sie jetzt?«
»Ich habe sie fürs erste bei meinen eigenen untergestellt, da ich mir nicht ganz sicher war, wann du sie Carrington vorführen wolltest.«
Judith schob die Lippen vor. »Richtig«, sagte sie. »Das muß ich mir erst noch überlegen.«
»Worum geht es denn, Judith?« Sally band die Bänder ihres Strohhuts unter dem Kinn zu.
»Oh, ich werde einen sportlichen, hochsitzigen Zweispänner mit zwei prächtigen Wallachen fahren«, erklärte Judith. »Sebastian hat sie für mich besorgt.«
»Sehr schneidig, das muß ich schon sagen«, bemerkte Cornelia, die jetzt wieder sicher auf den Füßen stand. »Und ich bestehe darauf, daß ich die erste bin, die mit dir fährt.«
»Das Vergnügen wird ganz auf meiner Seite sein.« Judith behielt das alarmierende Bild von der ungeschickten Cornelia in Verbindung mit einem hochachsigen, wackeligen Zweispänner, das plötzlich vor ihrem inneren Auge auftauchte, lieber für sich. Sie mochte gar nicht darüber nachdenken. Dann begleitete sie ihre Freundinnen in die Halle hinunter.
Sebastian goß sich ein Glas Sherry ein, während der immer noch leicht geschockte Charlie ihm von der Sache mit der Glücksspielschule berichtete. Sebastian kam der Gedanke, daß der menschenfreundliche, erzieherische Eifer seiner Schwester ihnen einen sehr schlechten Dienst erwiesen hätte in jenen Tagen, als es ihnen um so besser ging, je mehr Dummköpfe an den Kartentischen saßen. Aber die verzweifelte Geldnot war für sie beide jetzt gebannt. Und wenn sie Bernard Melville, den dritten Earl von Gracemere, erst einmal gezwungen hätten, das zurückzugeben, was er gestohlen hatte, wäre die Sorge für immer aus der Welt geschafft. Sebastians lange Finger schlossen sich fester um den zerbrechlichen Stiel des Glases, dann lockerte er seinen Griff widerstrebend, verdrängte die turbulenten Emotionen, die nüchterne Überlegung unmöglich machten, bis in den hintersten Winkel seines Hirns.
Judith, den Kopf voll mit Kutschpferden, stieß unversehens mit ihrem Ehemann zusammen, als sie die Treppe wieder hinaufeilte.
»Du wirkst eine Spur abgelenkt«, bemerkte Marcus, sich am Geländer festhaltend. »Was beschäftigt dich so?«
Zu ihrem Ärger fühlte Judith, wie eine schuldbewußte Röte in ihre Wangen kroch. »Ach, nichts«, erwiderte sie. »Ich hab's nur eilig, weil ich mit Sebastian ausreiten will. Es ist so ein herrlicher Tag.«
Der Himmel hatte ziemlich düster und wolkenverhangen ausgesehen, als Marcus das letzte Mal aus dem Fenster geschaut hatte. Er hob spöttisch die Brauen. »Das Wetter kann sich um diese Jahreszeit natürlich sehr schnell ändern.«
Judith nagte an ihrer Unterlippe. Marcus' Augen verengten sich. »Welchen Unfug brütest du da wieder aus, Luchs?«
»Unfug? Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.«
»Ich kann es in deinen Augen sehen. Du planst doch etwas.«
»Unfug natürlich nicht.« Sie wechselte rasch das Thema. »Warum mußt du so streng mit Charlie sein? Er tut nichts anderes als die meisten jungen Männer in seiner Position.«
Marcus' Miene verhärtete sich. »Worüber du natürlich bestens informiert bist. Eine solche Naivität hat ihre Vorteile.«
Judith holte scharf Luft bei dieser wohlgezielten Spitze, während Marcus brüsk fortfuhr: »Wie ich mit Charlie umgehe, ist meine Angelegenheit und hat nichts mit dir zu tun. Er ist mein Mündel, seit er kaum älter als ein Baby war, und im allgemeinen kommen wir ausgezeichnet miteinander aus.«
»Ja, das weiß ich«, erwiderte Judith. »Und er hängt sehr an dir und respektiert dich. Aber er ist jung...«
»Wenn er es nicht wäre, gäbe es für mich keinen Grund, die Zügel so straff anzuziehen, Judith, und wir hätten jetzt nicht diese Diskussion.« Er zog seine Uhr aus der Tasche seiner Weste. »Wie ich schon sagte, es
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