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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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    »Ich wollte dich um Verzeihung bitten.«
    In ihrer Stimme liegt nichts von der Sanftheit, mit der man einen Kranken zu beruhigen versucht.
    »Das brauchst du nicht.«
    »Ich war … total arschig.«
    Ich setzte mich auf. Bei mir ist nichts kaputt und nichts heil, so dass mir jede Bewegung wehtut.
    »Du hattest recht.«
    Sie sieht mich lange an. Dann blickt sie zu meinem Zimmernachbarn hinüber, ein Junge, der vom Moped gefallen ist und sich ein Bein gebrochen hat.
    »Kannst du gehen?«
    Ich stehe auf. Es ist weniger mühsam als vor zwei Tagen. Wir gehen ins Besuchszimmer am Ende des Flurs und setzen uns in eine Ecke. Wir reden leise, wie ein Liebespaar. Die Krankenschwester kommt vorbei und lächelt mir zu.
    »Erzähl mir von Michela.«
    Sofort wird Arianna starr.
    »Das hab ich doch schon.«
    »Nein, das hast du nicht. Erzähl mir, was du weißt.«
    Sie blickt sich um, als müsste sie Zeit gewinnen. Sie nimmt die Brille ab, hält sie in der Hand und spielt mit den Bügeln.
    »Im Grunde weiß ich so gut wie nichts. Und das, was ich weiß, ist mir erst hinterher aufgegangen. Als Michela mir von dir erzählt hat, habe ich nichts begriffen. Ich lese viel, bin oft in der Bibliothek. Ich weiß, dass du Kinderbücher schreibst. Ich fand das …« Sie hält inne, deutet ein Lächeln an. Ich helfe ihr aus der Verlegenheit.
    »Seltsam?«
    Sie nickt.
    »Dann haben wir uns wiedergesehen«, fährt sie fort. »Ich hab’s dir nicht erzählt, ich weiß. Am Tag, bevor sie starb, hat sie mich gebeten, zu ihr zu kommen. Sie hat mir einen alten Zeitungsartikel gezeigt. Und da habe ich ernsthaft Schiss gekriegt. Bis dahin hatte ich mir tausend Sachen überlegt und alles wieder verworfen. Alles, was mir in den Sinn kam, hatte nicht im Entferntesten mit Michela zu tun. Mit ihrer Zähigkeit und Ausdauer. Mit ihrer Fähigkeit, hart zu bleiben undnicht lockerzulassen, ohne dass irgendjemand mitkriegte, wie es ihr wirklich ging. Es hat diesen Zeitungsartikel gebraucht. Verfasst von deinem Vater und deiner Frau.«
    Sie verstummt. Ich starre sie an, unfähig, zu begreifen, was sie gerade gesagt hat.
    Ich weiß genau, wovon sie redet.
    Mein Vater und Elena haben nur eine Handvoll Artikel gemeinsam verfasst.
    Und das zu einem bestimmten Thema.
    »
Sie haben ihn umgebracht.
Das war die Überschrift.«
    Ich erinnere mich noch gut. Und ich erinnere mich auch, dass mein Vater die Überschrift zum Kotzen fand. Rhetorisch, banal, sinnlos, meinte er. Es steckt so viel mehr hinter dieser Bombe.
    »Sie waren zufällig dort«, erkläre ich.
    »Ja, das steht in dem Artikel.«
    Ich versuche klar zu denken. Ein fast unmögliches Unterfangen. Als ich spreche, bleibt mir der Atem zwischen den Zähnen hängen.
    »Sie suchte meinen Vater.«
    »Nein, sie hat nicht von deinem Vater gesprochen. Nur von deiner Frau.«
    Ich begreife nicht. Warte darauf, dass sie weiterredet, vielleicht hat sie ja eine Erklärung. Sie rutscht auf dem Sessel herum. Sitzen zu bleiben scheint sie sehr viel Mühe zu kosten.
    »Michela hat etwas von ihrem Mandanten erfahren. Vielleicht hat das Dreckschwein auf Strafmilderung spekuliert. Oder er war nicht der kleine Fisch, der er zu sein vorgab. Aber ich bin mir fast sicher, dass es so gewesen sein muss. Vielleicht hatten sie Angst, dass er gesungen hat, und haben sie zur Sicherheit alle beide umgebracht.«
    Ich antworte nicht, frage mich nach dem Sinn des Ganzen und was ein aus dem Nichts aufgetauchter Artikel mit fünf Pistolenschüssen in einem Verhandlungssaal zu tun hat.
    »Hat sie dir keine Namen genannt?«
    »Nein.«
    Sie blickt aus dem Fenster.
    Ich denke an einen Julinachmittag vor Ewigkeiten. An Elenas Stimme, abends am Telefon. An den leeren Blick meines Vaters nach ihrer Rückkehr. An den Wortlaut des Artikels, an meine Frau, die ihn liest, an die Stille in unserem Haus, während der stumme Fernseher jeden Satz mit den unbegreiflichen, absurden Bildern aus jenem Hof in Palermo untermauert.
    Ich denke an den Karton mit der Margerite. An Elenas letztes Lebensjahr, das zerplatzt ist und sich in Nichts aufgelöst hat wie eine Seifenblase. Zusammen mit den Notizen, aus denen die gemeinsam mit meinem Vater verfassten Artikel entstanden sind.
    »Das ergibt keinen Sinn. Das reicht nicht«, sage ich schließlich.
    »Nein, das ergibt keinen Sinn«, wiederholt Arianna.
    Ich hole Luft. Nicola Reale spricht mit seiner Anwältin. Er sagt ihr etwas Wichtiges oder zumindest etwas, das sie für überprüfungswürdig hält.

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