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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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ein paar hundert Meter weiter vorn aus einem Taxi gestiegen und hat so getan, als würden sie sich ganz zufällig über den Weg laufen.
    »Alles erledigt?«
    Der Junge nickt.
    »Klar. Es ist genauso gelaufen, wie Sie gesagt haben. Sie war weder bei der Arbeit noch zu Hause. Dann habe ich die Nachricht auf dem AB hinterlassen.«
    »Neuigkeiten?«
    »Im Büro sagen sie, sie sei in Urlaub.«
    »Wer sagt das?«
    »Eine Kollegin. Bei ihr zu Hause habe ich mit einer Nachbarin geredet. Die meint, sie hätte ihr von den Malediven geschrieben, und sie wisse nicht, wann sie zurückkomme.«
    »Sehr gut. Gibst du mir …«
    Der Junge kommt ihm zuvor.
    »Aber natürlich, entschuldigen Sie. Ich hab’s ein bisschen eilig.«
    Er holt das Päckchen und den Zettel mit der Nummer und der Nachricht heraus und gibt sie dem Mann.
    Der sieht ihn an, zerreißt den Zettel in vier Teile und wiederholt den Vorgang mit jedem Viertel. Drei Mal.
    »Dann ist ja alles in Ordnung. Danke.«
    Der Junge denkt an die Belohnung und lächelt.
    »Wenn Sie mich wieder brauchen sollten …«
    »Weiß ich, wo ich dich finde.« In der Ferne hört man Donnergrollen. »Bist du auf dem Weg zu einer Freundin?«
    Der Junge braucht einen Moment, um die Frage zu kapieren.
    »Nein. Ich will nur trocken nach Hause kommen. Danke noch mal.«
    Er setzt den Helm auf, steigt aufs Moped und fährt los.
    Adriano sieht ihm nach. Es fängt gleich an zu regnen, er hat recht.
    Und wenn er noch mehr Zeit verliert, kommt er zu spät zu seiner nächsten Verabredung.
     
    Von innen hat Marco Di Donnas Haus nichts mehr von dem Geheimnis, das seinen Besitzer umgibt. Ein dreistöckiges Holzgebäude, Wohnbereich unten, Schlafbereich oben, darüber ein Dachboden oder eine Mansarde.
    Auch sein Bewohner scheint den Erwartungen bei weitem nicht gerecht zu werden. Er ist höflich, aber distanziert, und gehört nicht zu der Sorte Menschen, in deren Gegenwart man sich unwillkürlich wohlfühlt. Auf jeden Fall hat er mehr von einem grauen, leicht verkniffenen Bankdirektor als von einem internationalen Abenteurer. Oder vielleicht muss einem nach der Bekanntschaft mit Patrizio Benetti jede andere Person fade erscheinen.
    Er macht mir einen Tee – eine Erinnerung an seine lange Zeit in England, erklärt er mir –, und seine Handgriffe verraten eine bis zum Erbrechen wiederholte Routine. Dann lässt er mich im Wohnzimmer vor einer riesigen Fensterfront mit Blick aufs Meer auf einem weißen Sofa Platz nehmen.
    »Denken Sie bitte nichts Schlechtes von mir«, sagt er nach einem langen Schweigen.
    »Sollte ich denn?«
    Er sieht mich an, mit der Tasse in der Hand, und macht ein überraschtes Gesicht. Er sucht nach einer Antwort, dann gibt er auf.
    »Ich habe aus zwei Gründen beschlossen, Sie zu treffen. Wie Sie wissen, verlasse ich mein Anwesen nicht sehr häufig.«
    Ich warte, er sieht mir flüchtig in die Augen.
    »Der erste Grund ist Ihr Nachname. Aber glauben Sie nicht, dass ich mit Ihnen spreche, weil mich Ihr Vater interessiert. Mir kam nur der Gedanke, dass wir beide unter dem gleichen Fluch leiden. Ein Übervater, mit dem man ein Leben lang fertig werden muss. Wir werden immer der Sohn von bleiben, glauben Sie nicht?«
    Als ich nicht antworte, fährt er fort.
    »Der zweite ist der Name, den Sie mir genannt haben. Oder besser, der Ihnen genannt wurde.«
    »Solara.«
    Er nickt.
    »Solara.« Er sagt es ganz gelassen, als würden wir über eine Tasse Tee hinweg miteinander plaudern wie zwei alte Freunde, die sich eine Ewigkeit nicht gesehen haben.
    »Kennen Sie ihn?«
    Er lächelt. Mustert mich mit einer Miene, als fragte er sich, was mir durch den Kopf geht. Dann verzichtet er abermals auf eine Antwort.
    »Sie werden sich bestimmt eine Frage gestellt haben.«
    »Mehr als eine.«
    »Eine mehr als alle anderen, glaube ich. Erlauben Sie mir diese Annahme, denn ich habe sie mir seinerzeit und unter ähnlichen Bedingungen ebenfalls gestellt.«
    Ich fahre mit den Fingern über die Tasse. Der heiße Tee bei diesen Temperaturen erscheint mir ebenso verrückt wie das, was ich gerade tue. Ich habe nur einen winzigen Schluck getrunken, um den Hausherrn nicht vor den Kopf zu stoßen.
    »Glauben Sie?«
    Er stellt seine Tasse ab.
    »Ich bin mir sicher. Wie ich bereits sagte, wir haben einiges gemeinsam. Vor allem die besessene Suche nach der Wahrheit. Mehr noch. Die besessene Suche nach der Wahrheit über unser Leben. Eine Wahrheit, die von weither kommt und seit langem die Geschichte unserer Familien

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