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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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uns stets daran zu erinnern, was hätte passieren können und was nie passieren wird.
    Die Wahrheit ist die beste Rache. Dieser leicht hingeworfene Satz war mir im Kopf geblieben. Während er ihn gesagt hatte, hatte die unverrückbare Maske nüchterner Distanziertheit einen winzigen Riss bekommen.
    Er hatte nicht von seinem Vater geredet.
    Offenbar gab es in seinem Leben noch etwas anderes, das gerächt werden musste. Etwas, für das sich noch etwas empfinden ließ.
    Das einen zur Grausamkeit anstiftete.
     
    Fünf Minuten vor der verabredeten Zeit komme ich bei Marco Di Donna an. Er empfängt mich an der Tür, eine Zigarette zwischen den Fingern. Sogleich entschuldigt er sich für den verschobenen Termin.
    »Ich schätze Pünktlichkeit. Und Überpünktlichkeit noch mehr.«
    Gerade hat er die Haustür zugemacht.
    »Ich wusste nicht, dass Sie rauchen.«
    »So gut wie nie. Ich hole das Päckchen nur raus, wenn ich gerade nichts Besseres zu tun habe. Sie?«
    »Man setzt alles daran, mich wieder dazu zu bringen«, antworte ich allzu hastig. Konversation zu machen liegt mir nicht, und das merkt man sofort. Offenbar gefällt ihm das.
    »Kommen Sie.«
    Er geht in die Küche. Neben dem Kühlschrank ist eine hölzerne Kammertür. Er öffnet sie, knipst das Licht an und tritt ein.
    Als ich auf der Schwelle stehenbleibe, dreht er sich abwartend um. Ich folge ihm.
    An der hinteren Wand steht ein Metallregal voller Vorräte. Marco schiebt es zur Seite und dahinter kommt eine Panzertür zum Vorschein. Er zieht ein Schlüsselbund aus der Tasche, öffnet die Tür und drückt auf einen Schalter.
    Das Licht fällt auf eine Kellertreppe. Er macht mir ein Zeichen einzutreten.
    »Sie sind nicht der Einzige, der Geheimnisse hat«, sagt er, schiebt das Regal wieder an seinen Platz und schließt die Tür. Er führt mich ein Dutzend Stufen hinunter, dann bleibt er stehen und mustert mich.
    »Man könnte es als ein Arbeitszimmer bezeichnen«, erklärt er. Und tatsächlich sieht es so aus.
    Die Wände sind frisch geweißt. Holzmöbel. Karteischränke auf beiden Seiten, ein Computer, verschiedene Aktenordner, ordentlich auf dem Schreibtisch abgelegt, der ein Vermögen gekostet haben muss. Ein Barmöbel an der gegenüberliegenden Wand, daneben ein schwarzes Ledersofa, auf dessen Armlehne ein paar Tageszeitungen liegen.
    »Nur das Meer fehlt«, sage ich in einem hilflosen Versuch, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
    Er schaltet den Computer an, lässt mich auf dem Sofa Platz nehmen, gießt Wasser in ein Glas und stellt die Flasche zusammen mit einem leeren Glas auf den hölzernen Couchtisch. Dann setzt er sich neben mich.
    »Ich hoffe, die Klimaanlage tut ihren Dienst. Manchmal ist es ein wenig heiß. Wenn Sie ein Bad brauchen, die Tür ist neben der Bar.«
    Ich gieße mir Wasser ein. Meine Kehle ist plötzlich völlig ausgedörrt. Ohne Umschweife kommt Di Donna auf den Grund unseres Treffens zu sprechen.
    »Es ist erstaunlich, dass Sie ausgerechnet zu mir kommen.«
    »Angesichts der Sache, die mich umtreibt, finde ich das nicht.«
    »Und ganz genau da möchte ich anfangen. Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Zugegeben, das ist ungewöhnlich, doch im Grunde ist unser Treffen ja kein Interview.«
    Ich lächele. Er hat erfahren, was er wissen muss, ohne direkt danach zu fragen.
    »Natürlich, kein Interview. Und kein verstecktes Aufnahmegerät, wenn es Sie interessiert.«
    Er hebt die Hand, fast wie zu einem Schwur.
    »Ich habe Ihre Anständigkeit nie in Frage gestellt. Die Frage ist ziemlich einfach. Womit, genau, beschäftigen Sie sich eigentlich?«
    Ich lasse mich gegen die Rückenlehne sinken, verschränke die Arme und denke nach. Und wundere mich über die Klarheit, mit der ich ihm antworten kann.
    »Mit den Beziehungen zwischen wirtschaftlicher, politischer und krimineller Macht. Abgesehen von dem Mord an meiner Frau.«
    »Sind Sie sicher, dass sie umgebracht wurde?«
    Ich sehe ihn mit einem spöttischen Lächeln an.
    »Sind Sie sicher, dass Ihr Vater umgebracht wurde?«
    Er übergeht die Frage.
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Kommt darauf an, was Sie mir zu sagen bereit sind.«
    »Richtig. Doch zunächst müssen Sie weniger vage sein.«
    Ich warte. Wir haben die Rollen getauscht. Er stellt die Fragen, und ich bin in der Defensive. Doch zugleich war mir noch nie so klar wie jetzt, welcher Weg mich von Michelas Tod bis hierher geführt hat.
    Die Schilderungen des Sommers ’92, Elenas Notizen, Danieles Worte, die verlogene

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