Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
hellwach. Resignierend widmete ich mich seinem Bild in meinem Kopf. Seine Augen beschäftigten mich am meisten. Sie waren weder blau noch grün und sein Blick ging mir einfach nicht aus dem Sinn.
Plötzlich wurde mir auch klar, warum. Bei allen Rätseln, die dieser Typ mir – und offenbar nicht nur mir – aufgab, war die für mich größte Ungereimtheit für den Bruchteil einer Sekunde in seinen Augen aufgeblitzt. Und zwar in dem Moment, als ich ihn im Matheunterricht so angefahren hatte.
Für einen winzigen Moment war Noah nämlich zurückgeschreckt. Seine Augenlider flatterten unsicher, bevor sich sein Blick senkte – nur für einen Wimpernschlag. Sein Adamsapfel bewegte sich auffällig stark, bei dem Versuch zu schlucken.
D ie Szene spielte sich immer und immer wieder vor meinem inneren Auge ab – wie in Zeitlupe. Verzweifelt suchte ich nach der richtigen Beschreibung für seinen Gesichtsausdruck und fragte mich, warum mich seine Mimik so tief bewegte. Denn das tat sie. Sein Blick hatte etwas in mir berührt.
Dann, nach etlichen Minuten, wurde mir endlich klar, was es war: Noah hatte in diesem kleinen Augenblick schuldbewusst gewirkt und dabei unglaublich verletzlich ausgesehen.
Doch dann hatten sich seine Augen verengt. Sein Blick wurde bedrohlich und jagte mir eine eisige Kälte über den Rücken. Genau dasselbe geschah noch einmal, als ich mich nun an diesen plötzlichen Wandel erinnerte. Dennoch, ich konnte es nicht leugnen: So fies er auch gewesen sein mochte, so sehr hatte er mich in seinen Bann gezogen. Trotz seiner unmöglichen Art. Oder vielleicht gerade deshalb?
Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf und folgte ihnen. Sammelte die Fakten und suchte nach Hinweisen für sein Verhalten.
Noah war Lucys und Adrians Adoptivbruder. Vielleicht waren seine Eltern ums Leben gekommen und er hatte den Schock nie verwunden. Das konnte erklären, warum er sich so abschottete. Nicht aber, warum er so ein Ekel war. Schließlich schienen ihn alle anderen, unsere Mitschüler und die Lehrer, bereits aufgegeben zu haben.
Himmel, er war nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt nach Hause zurückgekehrt und niemand hatte ihn auch nur mit einem freundlichen Hallo begrüßt. Warum nur?
Ich beschloss, dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Meine Neugier war entfacht; nun brannte ich förmlich darauf, mehr über diesen eigenartigen Jungen und sein Geheimnis zu erfahren.
Mein Vorsatz verschaffte mir endlich den klaren Kopf, den ich brauchte, um mich meinen Hausaufgaben zu widmen. Als mein Dad abends nach Hause kam, wärmte ich ihm sein Essen auf und lauschte seinen Erzählungen vom Set.
„Und bei dir? Wie war dein Tag, Kleines?“, fragte er schließlich in seinem sanftesten Tonfall.
„Hmmm, interessant , würde ich sagen.“
„Interessant, hm?“ Er hob die Augenbrauen, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mich neugierig an. „Nun, jetzt bin ich gespannt.“
Da ich nicht die leiseste Lust verspürte, die Ereignisse des Tages wieder aufzurollen, beschloss ich, mich auf das Wesentliche zu beschränken. „Ähm, also, wir haben drei neue Mitschüler. Das heißt, sie sind eigentlich nicht neu, sondern waren für ein paar Jahre in Frankreich und sind jetzt wieder da.“
„Alle drei waren weg?“, fragte mein Dad erstaunt. „Geschwister?“
„Ja, zwei Jungs und ein Mädchen. Das Mädchen und einer der Jungs sind Zwillinge. Der andere Junge ist wohl adoptiert. Jedenfalls sind sie sehr nett.“ Zumindest die Zwillinge.
Mit einem tiefen Atemzug setzte ich zu dem entscheidenden Satz an: „Sie geben am Samstag eine Party und haben mich eingeladen.“
Um ein Haar rutschte meinem Dad das Glas aus der Hand. Mit weit aufgerissenen Augen sah er mich an. Dann, nach zwei, drei Sekunden, besann er sich und schüttelte kurz den Kopf. „Emily, das ist doch super! Ich freue mich, dass du neue Freunde gefunden hast.“
„Also, darf ich gehen?“
„Sicher gehst du! Kommt Kathy denn auch mit?“ Mein Vater erwiderte mein Nicken mit einem breiten Grinsen. Offenbar hatte er sich mehr um mich gesorgt , als es mir bewusst geworden war. „Das wird bestimmt toll”, sagte er zufrieden und erhob sich.
Stumm spülte er seinen Teller, das Besteck und sein Glas ab, dann wandte er sich mir wieder zu. „So, Kleines, ich muss noch ein wenig arbeiten. Das Skript muss an einigen Stellen abgeändert werden. Es gibt meiner Meinung nach wichtige Stellen in dem Buch, die sie überhaupt nicht berücksichtigt haben. Wir müssen
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